ankommen

02.09.2021: Tag zwei

Ich setzte meinen Rucksack ab, um die Blasenpflaster rauszuholen. Ja, kein Scherz, ich war geschätzte drei Kilometer weit gekommen und spürte an meinen beiden Hacken bereits Blasen gedeihen. Der Startort lag schon hinter mir, Google Maps hatte mich zu dem ersten Wegweiser der Route geführt. Hier stand ich nun – umgeben von Feldern und Wiesen an dieser Weggablung und kramte in meinem Rucksack die heiligen Pflaster heraus. Wird schon, dachte ich noch und setzte meinen Weg fort. Ich kreuzte eine breite Schnellstraße und verschwand in einem Maisfeld, die Augen stets auf den Schotter des Bodens gerichtet. Die kleinen quadratischen rot-gelben Schilder, die meine Route kennzeichneten, wurden zu meinem Konzentrationsspiel. Immer, wenn ich sie für länger als einen gewissen zeitlichen Abstand aus den Augen verlor, geriet ich in Panik. Zumindest leichte – denn an diesem ersten Tag folgte ich an einer Kreuzung dem falschen Weg und stellte mindestens einen Kilometer später fest, dass schon zu lange keines meiner Orientierungsquadrate mehr aufgetaucht ist. Ich störte einen Mann in einem weißen Plastikstuhl vor seiner Einfahrt beim Lesen seines Buchs und fragte eine vorbeikommende Mountainbikerin, um zu erfahren, was ich im Innern eh schon befürchtet hatte: Ich war falsch abgebogen und musste zurück. Hilft ja nix, dachte ich, schob mir einen meiner Müsliriegel in den Mund und kämpfte mich den Weg über überwucherte Pfade zurück zur Weggabelung. Meine Hacken taten zwar trotz Pflaster noch weh, doch in mir glühte immer noch Motivation und Abenteuerlust. Die Stimme in meinem Kopf, die mich fragte, was ich hier eigentlich mache, wurde immer leiser und leiser, umso weiter ich lief. Mein Konzentrationsspielchen begleitete mich seit diesem Moment und ich entwickelte eine innere Uhr, die Alarm schlug, sobald der zeitliche Abstand zwischen den Schildchen zu groß wurde.


Rückblickend kommt mir der Tag lächerlich kurz vor, doch ich erinnere mich, dass sich Feld an Feld reihte und meine Füße nach den ersten Kilometern in einen ruhigen Rhythmus fanden, der die Zeit ins Unendliche zu dehnen schien. Die Zeit verflog nicht, sie folgte dem Takt meiner Schritte.
Mein Rucksack schien leichter zu werden, umso weiter ich lief und ohne sein Gewicht auf meinem Rücken fühlte ich mich nackt. Ich begegnete niemandem. Kein Mensch und kein Tier kamen mir entgegen oder kreuzten meinen Weg. Nur ein toter Hase, dessen Gedärme über den Feldweg verteilt lagen, ist mir in Erinnerung.
Zuckerrüben, die hohen dünnen Stängel des Mais, Bäume, rostrote Dächer zwischen grünen Flächen, Schienen und Güterzugwaggons, die scheppernd durch die Landschaft krochen. Ich fühlte mich immer sicherer und weniger einsam auf den verlassenen Wegen, die sich durch die stille Landschaft Bayerns zogen – spürte, wie meine Aufmerksamkeit Stück für Stück ins Außen rutschte, meine Augen alles aufsogen und meine Gedanken durch den Rhythmus meiner knirschenden Schritte verlangsamten.
Die Stille fühlte sich gut an. Die Felder wichen einem Wald, dessen schattige Kühle eine Wohltat für meine erhitzte Haut war. Meine Blasen erfreuten sich der Naht in meinem Schuh und signalisierten mir stetig ihre Anwesenheit. Der Tag zog dahin, die Sonne brannte auf meinem Kopf und ich verlor jegliches Zeitgefühl.
Die letzten Kilometer dieser ersten Etappe stiegen steil an und schienen mich nochmal auf meine Hartnäckigkeit testen zu wollen. Schritt für Schritt bewegte ich mich über den Asphalt, spürte das Gewicht des Rucksacks wieder deutlicher auf meinen Schultern und die Steigung in den Beinen. Die Vorstellung von einer deftigen Mahlzeit in dem einzigen Gasthof des Zielorts trieb mich weiter voran, bis ich schließlich das Ortseingangsschild erreichte. Der Gasthof war geschlossen. Kein Supermarkt, kein Tante- Emma-Laden, kein gar nichts. Nur einige wenige an den Hang des Berges gedrängte Häuser, Wiesen und Felder mit Obstbäumen und weiter oben die über ihnen thronende Burg. Ohne Aussicht auf etwas Essbares schlurfte ich die letzten Meter zu meiner Unterkunft und rief ein vorsichtiges Hallo an der offenen Haustür ins Innere des Hauses. Ich spürte nichts als pures tiefes Glück als ich mit einem Lächeln begrüßt und in mein Zimmer geführt wurde. Meine Schuhe wichen sofort den Birkenstocks und meine nasse Kleidung etwas Trockenem. Ich fühlte mich befreit. Jeder Muskel meines Körpers war mir bewusst, meine Beine waren schwer und ich selbst müde, doch als ich vor meiner Unterkunft an einem langen Holztisch saß und den Blick ins Tal schweifen ließ, spürte ich nur innere Ruhe und Zufriedenheit. Abends kehrten auch die anderen Gäste zurück und wir saßen zusammen an dem Holztisch, neben uns ein Apfelbaum, ein aufgedrehter Hund, der auf der saftig grünen Wiese herumsprang und die wohlige Abendsonne im Gesicht. Franz, der Hausherr, grillte für uns und seine Frau brachte Brot, Sauerkraut und Salat. Wir aßen und redeten.
Nur wenige Stunden und es fühlte sich an, als wäre ich angekommen. Herzlichkeit und Freundlichkeit wärmten mein Herz und gaben mir eine Kraft, die mir schon lange gefehlt zu haben schien. In dieser Nacht schlief ich so gut wie lange nicht mehr.

(1) Kommentar

  1. David sagt:

    Hallo Charly ,
    danke für die Fortsetzung.
    Mich Motiviert es jetzt noch mehr alleine zu verreisen und ich hoffe das ich auch ein wenig auf die Brems drücken kann .
    Etwas Angst spielt immer mit denke ich aber mann sollte such mal über seine Grenzen gehen und aus seinem Alltag aus brechen ☺️

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