Depression.

Ich lache. Mein Bauch tut weh, meine Wangen sind heiß, ich denke nicht, ich bin. Die Wohnung ist aufgeräumt und sauber, minimalistisch könnte man sagen und heimelig auf eine reine Art. Wir sitzen in kleiner Runde beisammen, in unserer Mitte der große quadratische Tisch voller Schalen mit Snacks und Gläsern. Draußen ist es dunkel und kalt. Es regnet und der Wind peitscht durch die Straße. Musik strömt aus der Bluetooth Box in das Wohnzimmer, die Klänge wabern zwischen uns hindurch wie Lachgas. Ich trinke Mate und Wasser und fühle mich trotzdem beschwipst. Beschwipst von guter Gesellschaft und Nähe. Wir grinsen uns an, fuchteln vor den anderen mit den Händen herum, um einen Begriff pantomimisch darzustellen und versinken in dem Sofa und den Sesseln.
Ich bin glücklich.
Schon seit Längerem bin ich glücklich, angekommen, ruhig. Ein bodenständiges, zufriedenes, in mir ruhendes Gefühl hat sich in den letzten Monaten ganz zaghaft und immer einnehmender breit gemacht. Eine innere Stärke, ein Vertrauen, das ich so noch nie gespürt habe. Ich erinnere mich noch, wie mich vor einem guten Jahr selbst das Einkaufen gehen überfordert hat. Alles war zu viel. Jeder Reiz, jeder Mensch, jede Aufgabe.
Selbst ich war mir zu viel, wollte nur Stille und Nichts. Ich wollte die Leere, die in mir herrschte füllen und mich gleichzeitig in ihr verlieren. Ich hatte keine Kraft, keine Freude, keine Stärke, kein Vertrauen, wortwörtlich keine Hoffnung. Ich stand an einem Abgrund, an den es mich schon oft in meinem Leben gezogen hat. Gefangen im eigenen Kopf, im eigenen Chaos, scheinbar verloren in einer großen Leere in meiner Brust. Getrieben und rastlos, müde und lustlos.

Wir kennen alle diese Krankheit, es ist die zweithäufigste in Deutschland, doch wir wissen nicht, was sie bedeutet. Wir nehmen ihr ihre Bedeutung, wenn wir davon sprechen, heute irgendwie depri zu sein. Wir erkennen sie nicht, wenn wir sagen, hab dich nicht so, anderen geht es schlechter. Wir wissen zu wenig über sie, als das wir urteilen könnten oder sollten.
Es kann jeden treffen und es werden immer mehr. Ich habe es allein in diesem einen Jahr gesehen, gehört, gespürt. Freunde, Bekannte, Freunde von Freunden, junge gute Menschen, die nicht mehr weiterwissen, nicht mehr atmen können, nur suchen und nichts finden. Die gähnende Leere, die sie beherrscht, so wie sie auch mich beherrscht hat und immer noch in mir lauert, schleicht sich meistens heimlich an, fast unsichtbar, fast nicht da und dann ganz plötzlich. Wir sehen nicht, wenn Menschen von ihr heimgesucht werden, wir können kein Röntgenbild erstellen und keine strikten Maßnahmen befolgen, um sie zu heilen. Wir können keinen Gips draufklatschen und 6 Wochen warten.
Es ist nicht so einfach. Und es ist bei jedem anders.
Die Schuldgefühle, die Scham, die Angst vor Verurteilung, die Unsicherheit, scheint jedoch bei jedem gleich zu sein. Es ist nicht nur einmal passiert, dass ich gefragt wurde, wie es ist, Hilfe zu bekommen. Wie es ist, sich so zu fühlen und was es wirklich bedeutet, depressiv zu sein. An Anfang war es schwer zu akzeptieren und manchmal ist es das immer noch. Zu sagen, ich war depressiv oder bin es (die Grenzen sind fließend), fühlt sich immer noch so an wie nackt in einer Menschenmasse zu stehen. Es erfordert Mut und trotzdem, trotzdem hat es mich so viel stärker gemacht. Ist ein Teil von mir geworden.
Wenn ich offen darüber spreche, sind die Leute oft perplex, wissen nicht, wie sie reagieren sollen, wollen nichts falsch machen und sagen dann einfach gar nichts. Ich verstehe das, ich kenne das. Die Angst, den anderen zu verletzen, zu nahe zu treten, etwas zu fragen, auf das der andere nicht antworten möchte. Dabei ist es so wichtig zu fragen!
Wir brauchen diesen Austausch, wir brauchen offene Worte und offene Herzen, wir brauchen sie, damit die Scham fallen kann, damit die Schuldgefühle kleiner werden und Verständnis und Wohlwollen in den wunden Seelen errichtet werden können. Wir brauchen Menschlichkeit. Offenheit und Toleranz, Interesse und genau diese Fragen, die man sich scheut zu stellen, damit das Verständnis und Empathie wachsen können. Wir brauchen diese Nähe, die dadurch zwischen uns Menschen entsteht und wir brauchen diese Intimität, diese Zugehörigkeit, die sie schafft und heutzutage so oft fehlt. Wir müssen uns zuhören und annehmen. Ernstnehmen und lernen, über das zu sprechen, das uns alle am meisten miteinander verbindet und doch so oft zu trennen scheint: unsere Emotionen.
Wir dürfen uns nicht dafür schämen, Hilfe zu brauchen, die Hand zu nehmen, die uns entgegengestreckt wird. Wir dürfen uns nicht selbst dafür verurteilen, nicht mehr mithalten zu können in einem Dauerlauf, den eh niemand je gewinnen wird und der nur kaputte Seelen hinterlässt. Wir sollten uns nicht verstecken, uns nicht dem Loch hingeben, das uns mit seinem lockenden Ruf verführt, sondern aufeinander zugehen und endlich, endlich ehrlich sein mit uns und mit dem Gegenüber, wenn jemand fragt: „Wie geht es dir?“.

Wer auch immer spürt, dass es ihm oder ihr ähnlich geht, wer denkt, sein oder ihr Problem wäre nicht „groß“, nicht wichtig genug, der:die irrt sich. Du BIST wichtig.
Vielleicht glaubst du das momentan nicht, aber ich glaube es.
Die Scham ist fies, die Schuldgefühle sind es auch, doch wenn dich jemand fragt: sei ehrlich. Wenn du dich selbst fragst: sei ehrlich. Es ist keine Schwäche, auch wenn es sich danach anfühlt. Es kann zu deiner Stärke werden, wenn du es zulässt und wenn du die Hand nimmst, die dir entgegengestreckt wird.

(1) Kommentar

  1. Laura sagt:

    Ich kann nur erahnen, wie viel Mut es gekostet hat, diesen Beitrag hochzuladen. Bitte sei stolz auf dich, dass du diesen Schritt gemacht hast und jeden Tag daran arbeitest, deinen eigenen Wert wahrzunehmen. Ich glaube, das sollten wir alle viel mehr üben.
    Vielen Dank für diese warmen, ehrlichen Worte!

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