Sobald ich einen Fuß durch die Tür setze, weiß ich, was passiert. Es geht mir mit allen Läden so.
Die Tür gleitet zur Seite und ich betrete den Laden, die warme stickige Luft schlägt mir entgegen, erinnert mich an meine Heimat. An die heißen Sommer, in der die Sonne erbarmungslos auf uns niederbrannte. Hier ist es so kalt. So grau. Fast schon farblos. Selbst die Menschen scheinen zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, um ihre Umwelt richtig wahrzunehmen. Alle kümmern sich um ihre Probleme, den nächsten Termin, den nächsten schwierigen Arbeitstag.
Niemand genießt das Jetzt, das Sein in all seinen Farben und Emotionen.
Ich streife durch die Reihen an Kleiderständern, suche mit den Augen die teuren Kleidungsstücke ab. In meiner Tasche fühle ich das Gewicht des Geldes, das mir mein Heimleiter gegeben hat, um einen neuen Pullover kaufen zu können und das so anders aussieht, als das, was ich kenne.
Doch das wissen die anderen nicht. Sie sehen nicht das Geld in meiner Tasche, nur den schwarzen jungen Mann, der mit seinen dunklen Augen die Reihen an Ständern fixiert. Ich spüre ihre Blicke, spüre, wie sie sich in meinen Rücken bohren. Meine Finger schieben Bügel auseinander, zittern dabei ein wenig, sodass meine Bewegungen fahrig wirken müssen. Ich will so schnell wie möglich hier raus. Das grelle Rot ihrer Shirts sticht mir sofort ins Auge, es ist, als wäre eine ganze Armee in diesem Raum verteilt. Wie Alarmleuchten tauchen sie zwischen den Massen an Kleidungsstücken auf. Schreien regelrecht danach, dass man sie bemerkt, dass man weiß, dass sie da sind, dass sie beobachten. Einer von ihnen steht hinter mir, in der Nähe der Kasse und sortiert irgendwelche Schuhkartons. Trotzdem spüre ich, wie er alle paar Sekunden den Kopf hebt, um zu sehen, was ich mache. Eine andere schleicht neben mir entlang, schiebt Bügel auseinander, richtet Klamotten, die heute mit Sicherheit schon mehrmals gerichtet wurden. In ihren Gesichtern liegt Skepsis, Misstrauen. Etwas, das ich in den letzten Monaten nur zu gut in menschlichen Zügen lesen gelernt habe.
Denn ich sehe es überall in diesem Land: in der Bahn, auf der Straße, selbst auf öffentlichen Toiletten und manchmal sogar in meinem Heim.
Ich höre das leise Tuscheln, als ich mit zwei Pullovern zur Umkleidekabine gehe. Blicke verfolgen mich, brennen in meinem Nacken, zwingen meine eigenen Augen auf den Boden, meine Schultern weitere Zentimeter nach unten. Manchmal wünschte ich, ich wäre unsichtbar. Hier in diesem Land. Wäre gerne durchscheinend, sodass mich niemand bemerken kann.
Eine ältere Dame kommt soeben aus der Umkleidekabine, erstarrt kurz, als sie mir gegenübersteht. In den dürren faltigen Fingern hält sie eine Jacke. Ihre Augen weiten sich ein Stück, sie murmelt etwas und geht an mir vorbei. Wieder dieser Ausdruck. Dieses Misstrauen.
Ich ziehe den Vorhang hinter mir zu und betrachte mich im Spiegel. Die dunklen Augen, die in dem letzten Jahr so viel gesehen haben, das ich gerne vergessen würde. Die dunkle Haut, der schwarze Bart und die lockigen Haare. Manchmal wäre ich gerne unsichtbar, hätte gerne keine schwarze Haut, die den Menschen hier als so sonderbar vorkommt. Ich möchte vergessen, was passiert ist. Möchte mich auf mein neues Leben konzentrieren, mir hier in diesem fremden Land etwas aufbauen. Möchte trotzdem meine Heimat immer im Herzen tragen und all die guten Erinnerungen nie verblassen lassen. Nur all das Dunkle möchte ich ausradieren, sodass ich nie wieder schweißgetränkt in meinem Bett aufschrecke, weil mich all das Vergangene bis in meine Träume verfolgt. Und obwohl mir niemand meinen Heimatstolz und die Liebe für meine Haut nehmen kann, die ich bereits seit meiner Geburt trage, diese Augen, die breite Nase und meine dunklen Haare, habe ich zwischen all diesen fremden Menschen das Gefühl, dass mich eben diese Haut, dieses Stück Heimat, nie vergessen lassen wird, was passiert ist und wo ich herkomme.