Echtes

In meinem Zimmer in Berlin in der Wohnung, die durch mich so viel Liebe und Zuwendung als auch Aufwertung erfahren hat, träume ich manchmal von der großen Weite. Von frischer Luft, die in die Lungen strömt, von Kälte und Wärme, von sanftem Nieselregen aus schweren Wolken umgeben von grüner Landschaft. Ich träume von satten Wiesen und tiefen Wäldern, von Felsen und Schluchten, von diesem Gefühl ganz klein und ein Teil des Großen Ganzen zu sein. Ich träume von diesem Glühen in der Brust beim Anblick des Sonnenuntergangs, von der Ehrfurcht, die mich jedes Mal erfüllt, von der kindlichen Freude über glitzernde Tautropfen auf Blättern und Gräsern. Ich träume davon, erfüllt zu sein von kalter klarer Luft, dem Duft von Harz und Erde und der Liebe und Achtsamkeit für den Moment. Ich verliere mich in der Vorstellung nichts zu besitzen, außer das Wenige, das ich wirklich brauche, frei zu sein, im Kopf, im Herzen und um mich herum. Mich treiben zu lassen, meinem Instinkt und meiner Neugier zu folgen, mich leiten zu lassen von einer unsichtbaren Macht, die an mir zerrt und reißt, um mich zum Aufbrechen zu bringen.
Nichts steht still, alles ist in ständiger Bewegung und genauso sehnt sich mein Geist nach den Eindrücken eines bewegten Lebens, nach Weite und Tiefe. Mein Herz sehnt sich nach der inneren Ruhe, die ich verspüre, wenn mich frische Luft und Grün umgibt. Mein Körper sehnt sich nach Anstrengung und Schweiß, nach schmerzenden Muskeln und einer tiefen gemütlichen Müdigkeit, wenn am Ende des Tages alles zur Ruhe kommt. Nach diesem unfassbar erdenden Gefühl, wenn jeder Muskel wehzutun scheint, wenn alle Gliedmaßen schwer und träge sind, aber Zufriedenheit und Glück in meiner Brust aufblühen wie eine zaghafte Knospe, die ihr Köpfchen durch die tauende Erde streckt.
In meinem Zimmer mit den hohen Decken und den Fenstern, vor denen sich die kahlen Äste der Bäume ausbreiten, träume ich von der Heimeligkeit und Ruhe, die ein eigener grüner Fleck Erde mit sich bringt. Ich träume von roten kalten Wangen, erdverkrusteten Fingern und weiter alter Kleidung voller Flecken und Stöcken in den wirren Haaren. Ich träume von jungen Pflanzen, die unter meinen Händen wachsen, von knorrigen Bäumen, Lichtstrahlen, die durch ihr Blattwerk blinken, von wildem Gras und zierlichen Blüten, von einem weiten blauen Himmel und Stille, die nur das Rauschen der Blätter durchbricht. Ich träume von alten Mauern und ambitionierten Plänen, von Wandfarbe und Staub, von Gerümpel und Schrott, der zu Kunst wird, von Ästhetik und Nostalgie in Altem und Vergessenem. Von Wänden die hochgezogen oder eingerissen werden, von Tapeten die weichen, von Rückschlägen und Herausforderungen, die meine Grenzen so sehr erweitern, wie ich es mir selbst nie zugetraut hätte.
Ich träume davon, etwas zu erschaffen, das nur mir gehört, meine eigenen Hände zu benutzen, um etwas Greifbares und Sichtbares zu gestalten. Ich spüre diesen starken Drang in mir, mich loszulösen, von Dingen und Gegenständen zu entfernen, die nur den Geist und die Wohnung zustellen, rauszugehen und jeden Moment vom Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Nacht zu erleben, nah dran zu sein, Teil zu sein von etwas, das uns geboren und geschaffen hat. Geschliffen wie einen Stein im tosenden Meer.
Ich möchte hohen Häusern und grauen Straßen, virtuellen Welten, blinkenden Lichtern und Autolärm, Menschenmassen und Werbeplakaten, all dem, was uns nur immer weiter von uns selbst und dem Echten entfernt, entfliehen. Eintauchen in eine Welt, in der ich mich lebendig fühle, weil alles in ihr lebt und atmet genau wie ich.

(1) Kommentar

  1. Hallo Charly

    Eine beeindruckt schöne Reise im Rausch der Sehnsüchte der menschlichen Natur. mit einfühlsamer Sensibilität. Ich habe mich in deinen Gedanken wieder gefunden. Aber was das alles Wert, ohne moralisch göttliche Prioritäten und Bereiche: dem Frieden, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Liebe, das Mitgefühl, die Barmherzigkeit, die Vergebung, das Vertrauen fördert, schützt, … ?
    Ist es nicht so, dass wir uns all dem Hingeben müssen, bevor es uns erfüllen kann?
    Ist das Leben nicht vielleicht dort, wo wir selbstloser werden für ein allumfassendes wir, ohne uns selbst dabei zu verlieren?
    Ist das bisschen Paradies in dieser Welt vielleicht eher in den Herzen der Menschen zu suchen? Aber du hast Recht, es gehört beide zusammen, solange wir Menschen sind, verbunden mit dieser Realität und diesen Körpern.
    Um so schönes ist die Gute Botschaft, die nun fast 2000 Jahre lang verkündigt wird, damit sich all deine Träume erfüllen können. Die Frage ist, bist dafür tauglich, bereit und aktiv??

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert