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Enttabuisieren

Wie wir so beieinandersitzen und uns unterhalten, spüre ich, wie sehr mir das gefehlt hat. Fünf junge Frauen, eine zusammengewürfelte Runde, und trotzdem passt die Stimmung und der Vibe. Diese Energie, die zwischen uns wabert, steckt mich an, gibt mir Kraft, erfüllt mich auf eine besondere Art. Solche Abende, an denen man zusammenkommt, etwas isst und trinkt, redet und Spiele spielt, sind immer noch meine Liebsten. Zwischen Kerzenlicht und warmer Luft fühle ich mich verstanden und verbunden mit diesen Menschen, weil sie Ähnliches bewegt. Das war es, was mir gefehlt hat und was ich dennoch nicht klar erkannt habe. Jetzt, mit dem Einbruch der Dunkelheit und den kalten Monaten, nimmt die Zeit wieder zu, in der wir uns allein zuhaus´ vor der Kälte verstecken. Mir fällt dieser Übergang jedes Jahr schwer, ich erkenne zu spät, dass sich etwas ändert und passe mich selbst meist erst an, wenn ich merke, dass es mir nicht gut geht. Doch in dieser Runde spüre ich, dass auch die dunklen Monate schön sind, gemütlich und heimelig auf diese ganz eigene winterliche und weihnachtliche Art. Ich bin sehr dankbar für diese Stunden mit ihnen, mit Lachen und Austausch, mit guter Gesellschaft und der Energie, die sie mir schenken.
Meine Freundin hatte Recht, als sie mir sagte, dass es doch okay und normal ist, sich auch einmal allein zu fühlen. Nichts mit sich anzufangen zu wissen und sich nach Gesellschaft zu sehnen. Dass es menschlich und keine Schwäche ist, andere zu brauchen. Diese Einfachheit, in dem was sie sagte, traf mich. Ja, natürlich ist das normal, aber warum übersehe ich das dann so oft, wenn so eine Situation eintritt?
Ich lerne immer noch, mich anzunehmen, nicht zuzusehen, was die ungefilterten Emotionen, die manchmal in mir hochkochen, mit mir anstellen, sondern draufzuschauen und präsent zu sein, realistisch und kühl im Kopf zu bleiben. Es ist so leicht, sich mitreißen zu lassen, so leicht, sich den alten Mustern und Prägungen hinzugeben, der Stimme zuzustimmen, die in den Gedanken flüstert, statt sie zu korrigieren, hinzusehen, statt wegzuschauen. Merkwürdigerweise tut es sogar mehr weh, wegzuschauen und die Stimme gewähren zu lassen ihr Gift zu verbreiten, als hinzusehen und dagegen zu gehen, für sich selbst einzustehen. Es ist anstrengender, ja auf jeden Fall, es erfordert Achtsamkeit, Willenskraft und Durchhaltevermögen, bis es leichter und gewohnter wird, bis jede winzige Situation zu einem großen starken Gefühl im Innern beiträgt. Doch es braucht genau diese Anstrengung, Aufmerksam- und Achtsamkeit, die wir uns selbst und unseren Gewohnheiten entgegenbringen, um etwas Grundlegendes zu verändern.

Seit etwas mehr als einem halben Jahr verstehe ich tiefgreifend, wie wichtig soziale Bindungen sind und was sie für mich wirklich bedeuten. Es klingt vielleicht trivial, vielleicht fragt sich jemand, wie ich das erst jetzt begreifen konnte, aber es ist wahrscheinlich gar nicht so ungewöhnlich, wie es klingt.
Die Depression, die mich schon lange begleitet hat, hat es mir unheimlich erschwert, wirkliche Verbundenheit zu anderen Menschen zu empfinden und das Gefühl zu entwickeln, dass sie mich wirklich verstehen und die Art und Weise wie ich fühle.
Durch die Depression habe ich mich immer anders gefühlt, immer dunkler, schwerer, kaputter als alle anderen, denen alles immer so leicht zu fallen schien. Jetzt weiß, das dem natürlich nicht so ist, schließlich struggelt jeder Mensch mit irgendetwas oder irgendwem. Dennoch legt die Depression einen düsteren Schleier auf alles, was man empfindet und denkt, und scheint eine Grenze zu anderen Menschen zu ziehen. Es fühlt sich immer noch merkwürdig an Menschen zu erklären, wie es sich anfühlt eine depressive Phase zu haben, die es selbst nicht erlebt haben. Immer noch schwingt die Befürchtung mit, abgestempelt, bemitleidet oder in eine bestimmte Ecke geschoben zu werden – als depressiver Mensch und nicht als Mensch mit Depressionen betrachtet zu werden.
Immer noch ist die Angst präsent, dass es mir wieder schlechter geht, dass mich die Depression wieder einholt, von meinem guten Weg wegschnappt und mir einen Sack über den Kopf zieht, unter dem ich wieder nicht richtig sehen, fühlen, hören und mich mitteilen kann. Ein normaler schlechter Tag wird so also zu einem inneren Kampf mit der Angst. Und genauso wie diese Angst immer mal wieder da sein wird, wird auch das Risiko einer depressiven Phase immer mal wieder da sein – bei mir, bei dir, bei jedem Menschen.
Und vor allem weil es jeden von uns betreffen kann und oft nicht rechtzeitig mittgeteilt oder sogar selbst erkannt wird, ist es so wichtig darüber zu reden. Mit einer Freundin, einem Freund, deiner Mutter, deinem Vater, Geschwistern, Partnern oder Partnerinnen, mit jemandem, der dir nahesteht, dem du vertraust, der dir zuhört und dir Raum gibt, auszusprechen, was rausgelassen werden will.

Manchmal, wenn ich mir Zeit nehme darüber nachzudenken, was sich in den letzten anderthalb Jahren alles verändert hat, glaube ich kaum, wie gut es mir geht und dass es davor so viele Jahre gab, in denen es nicht so war, weil sie durchzogen waren von den Nebelschwaden der Depression.

Ich sehe in die Gesichter der Frauen in dieser Runde. Zwei von ihnen kenne ich schon länger, habe viel mit ihnen geteilt und erlebt, schätze sie sehr und was sie mir geben, beide auf eine andere Art, doch genauso wertvoll. Ein neues Gesicht, flüchtig bei dieser oder jener Party getroffen, Satzfetzen ausgetauscht und wieder die Namen vergessen. Und eines, das ich schon öfter gesehen und durch gemeinsame Freunde kennengelernt habe und dessen Vibe ich mag. Es mag pathetisch klingen, doch in solchen Momenten des Glücks und der Freude denke ich ab und an daran, wie ich diesen Augenblick mit der Depression wahrgenommen hätte – ganz anders auf jeden Fall, nicht so rein und pur und echt. Nicht so lebendig und ruhig, ich wär´ nicht so sehr im Außen, sondern viel mehr in mir drinnen, könnte nicht so genießen, wäre abgelenkt von den Gefühlen und Gedanken in mir und wäre überall, aber nicht so präsent im Hier und Jetzt.
Es geht mir damit wie auf dem Unicampus und im Hörsaal nach der Online-Uni-Pandemie-Situation zu sein, ich schätze viel mehr und ich genieße viel mehr, ich bin dankbarer und zufriedener, ich weiß, dass es sich auch anders anfühlen kann und erfreue mich an jedem Moment, der so ist wie dieser.

4 Kommentare

  1. Anonym Anonym

    Hallo Charly,
    dein Text hat mich sehr berührt. Es ist so schön, dass du diese Momente jetzt wahrnehmen kannst. Dass du sie jetzt genießen kannst. Natürlich wird es immer wieder Momente geben, in denen es schwer ist, Leichtigkeit und Glück zu spüren, aber wichtig ist das wieder Loslösen davon. Oft werden Depressionen so einfach beschrieben. Ich konnte mich nie damit identifizieren: Es geht dir so schlecht, dass du zu nichts mehr in der Lage bist und dich nichts mehr glücklich macht. Mit deinen Beschreibungen kann ich mich viel besser identifizieren. Es ist nicht so, dass ich keine Dinge mehr unternehme, aber alles ist, wie du es beschreibst, nicht mehr pur und echt. Manchmal merke ich selbst gar nicht, dass es sich anders anfühlen sollte. An einem guten Tag merke ich erst, wie toll alles wirklich sein kann und wie selbstbewusst ich mich fühlen kann. Dann merke ich erst was der „Normalzustand“ wäre. Es ist umso schöner, dass du nun wahrnehmen kannst, wie du im Vergleich zu vor einigen Monaten fühlst und genießen kannst. Alles Liebe

    • Charly Charly

      Vielen Dank für deinen Kommentar!
      Ja, ich weiß sehr gut was du damit meinst, dass du dich mit einigen Beschreibungen von Depressionen nicht identifizieren kannst. Es gibt ja auch verschiedene Schweregrade und oft hat man ja auch ein durch Medien geprägtes Bild davon im Kopf. Und dieses Bild ist dann ja sehr oft eines einer schwereren Depression, die damit einhergeht, dass man selbst das Bett nicht mehr verlassen kann und Alltagsdinge unüberwindbar schwer werden. Aber selbst über die leichteren Formen lohnt es sich zu sprechen! Und ich freue mich, dass du dich mit meinen Beschreibungen identifizieren kannst und es dir vielleicht ein bisschen hilft, dich verstanden zu fühlen 🙂
      Es klingt, als wärst du auch betroffen und wenn es so ist, hoffe ich, dass du Unterstützung hast und dich jemandem anvertrauen kannst!
      Danke für deine lieben Worte und ich hoffe, dass die Tage des „Normalzustandes“ bei dir auch immer weiter zunehmen!

      Alles Gute und liebe Grüße

      Charly

  2. Arian Arian

    Hi liebe Charly,

    es ist schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal hier war, aber ich freu mich es wieder zu sein. Ich mag deinen Text sehr gern und ich weiß es unglaublich zu schätzen und habe Respekt davor, dass du mit deiner Depression so offen und konstruktiv und Erfahrungen-teilend umgehst. Auch mit dem Prozess des Reflektierens und des überhaupt erst Wahrnehmens, allein der Schritt ist ja schon eine riesige Bürde und kann eine Menge Schamgefühl und Verunsicherung und Orientierungslosigkeit mit sich bringen.

    Wenn du schon so mutig bist kann ich vielleicht auch meinen Ring in den Hut werfen. Depressionen und Zwangsstörung. Bei mir steht der Zwang zwar meist noch deutlich mehr im Vordergrund aber da sich das auch gern gegenseitig bedingt, bin ich an den Depressionen auch nicht ganz vorbei gekommen. In den letzten Jahren war sehr sehr viel sehr sehr doof. Ich hab jetzt 2 1/2 Jahre Therapie hinter mir, war eine Zeit stationär und werde es bald auch wieder sein. Und auch wenn ich wirklich arg Probleme hab einigermaßen ein sinnvolles Leben zu führen finde ich mich sehr in dem wieder, was du schreibst. Soziale Events sind mein Anker, ich schöpfe aus nichts so viel Kraft und Positivität wie aus ihnen, wie aus den Menschen, die ich liebe und der Zeit, die ich mit ihnen verbringen darf. Ich finde, du hast sehr schöne Worte gefunden das zu beschreiben.

    Fühlt sich ein wenig weird an das hier einfach in die Kommentare zu schreiben und es fühlt sich so aufmerksamkeitsbuhlend an, was es aber natürlich gar nicht ist oder sein soll. Deine Offenheit und dein Mut bringen einem ganz viel Verständnis und Wärme entgegen und geben einem noch zusätzlich die Kraft zu sagen, hi, ich bin auch betroffen, wir sind nicht allein und wir unterstützen uns. Dafür möchte ich dir danken.

    Alles Liebe und alles alles Gute für dich, dass du diese Momente weiterhin so genießen kannst und weiter kämpfst. Arian 🙂

    • Charly Charly

      Hey Arian,
      ich habe deinen Kommentar heute morgen nach dem Aufstehen gelesen und mich sehr darüber gefreut, dass mein Text dir gefallen und vielleicht geholfen hat. Ich finde stark und mutig von dir, was du geschrieben hast und bin dir dankbar dafür. Es tut mir wirklich leid zu hören, dass deine letzten Jahre so schwer waren und hoffe, dass die nächste Zeit für dich leichter wird und dir geholfen werden kann.
      Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie verzweifelt man sich manchmal fühlt und wie allein damit, und wie schwer es ist, weiterzugehen, weiterzukämpfen und sich nicht unterkriegen zu lassen, auch wenn der Weg hart und von Rückschlägen geprägt ist. Ich wünsche dir ganz viel Kraft, Mut, Verbundenheit und etliche erfüllende Momente mit deinen Herzensmenschen. Manchmal sind diese Augenblicke buchstäblich die Luft zum Atmen, die man braucht. Ich kenne das.
      Ich hoffe, du schaust immer mal wieder hier vorbei, ich würde mich sehr freuen 😀
      Deine Meinung, Erfahrungen und Eindrücke sind immer willkommen und helfen auch mir.
      Danke für deine lieben Worte, ich wünsche auch dir alles alles Gute!
      Lass uns zusammen weiterkämpfen und nicht aufgeben, selbst, wenn wir zurückgeworfen werden. Ich glaube an uns.

      Liebe Grüße

      Charly 🙂

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