ich tanze

Kopfkissenzerwühler. Abgrund in mir.

Schwarz und tief. Da ist dieser Abgrund in mir. Dieses Loch, das manchmal alles in sich hineinsaugt, diese Dunkelheit. Diese stille Seite. Ein Abgrund, an dem ich stehe, von dem ich mich entferne oder taumelnd auf ihn zu stolpere. Ein Abgrund, dessen verführerische Stimme manchmal meinen Namen wispert, mich einlädt in seiner dunklen Umarmung Geborgenheit zu finden, wobei es nur Einsamkeit, Traurigkeit und Angst sind, die sich in der Geborgenheits dicken Mantel gehüllt haben. Gut verkleidet und schwer enttarnbar. Ich stolpere. Ich strauchle. Ich taumle. Auf den Abgrund zu. Immer wieder. Und wieder. Ich tanze an dessen Kante, tanze bis mir die Lunge brennt und meine Füße taub sind, tanze an der Kante zum großen dunklen Nichts und versuche der Versuchung zu widerstehen, zu springen. Versuche nicht darüber nachzudenken, wie sich der Fall anfühlen würde. Die schwarze Umarmung des Abgrunds. Wie sich der freie Fall anfühlen würde. Befreiung. Gefahr. Adrenalin. Was unten auf mich warten würde.

Ein Abgrund, der mich ruft, mich lockt mit seinen Verheißungen, mich immer wieder in Versuchung bringt. Eine Dunkelheit, die manchmal mein Licht dimmt, es auf die Größe einer Sparflamme reduziert. Es ist der Moment, wenn sich vor die Sonne graue Wolken schieben, man weiß, sie ist noch da, aber man sieht sie nicht mehr. Der Moment, wenn ich ins Leere starre, abwesend, nichts denke und doch zu viel auf einmal, nicht Greifbares, nichts Nennbares, nichts Echtes. Der Moment, wenn mich tiefe Traurigkeit packt, weil mich all der Schmerz und die Tiefe unserer Welt berühren, wenn ich Ungerechtigkeiten empfinde, die mich selbst gar nicht betreffen. Wenn ich mich schuldig fühle, weil sie es eben nicht tun und ich mich immer und immer wieder frage: Warum? Dieser Moment, wenn ich selbst glaube, es ist falsch, diesem Abgrund so nah zu sein, obwohl ich doch keinen Grund dazu habe. Und ich bin dankbar, dass ich eigentlich keinen habe, natürlich, wie könnte ich auch nicht. Aber trotzdem kann ich ihn nicht leugnen. Diesen Abgrund in mir. Er ist ein Teil von mir, gehört zu mir wie mein rechter Arm oder mein Lachen. Dieses Ins-Leere-Starren, bin ich. Dieses Denken ohne Ergebnis, dieses Sich-Im-Kreis-Drehen, diese tiefe Traurigkeit und Unruhe, bin ich. Diese innere Rastlosigkeit, dieses Gefühl nie anzukommen irgendwie, immer auf der Suche nach etwas zu sein, bin ich. Sie gehören zu mir, genau wie mein Mut und meine Neugier, mein Humor und meine Albernheit. Dieser Abgrund in mir wird immer da sein. Er wird mich immer rufen, mich locken zu springen, ins Unbekannte. Er wird versuchen, mich zu verführen wie ein charmanter Liebhaber, wird immer wollen, dass ich die frische Luft des freien Falls in meinen Lungen spüre, sie auf der Zunge schmecke. Wird wollen, dass ich mich in die Dunkelheit begebe, eins werde mit ihr, mich ihr ganz und gar hingebe. Ich spüre in mir, wie mich seine Stimme ruft, wie sie in meinem Kopf leise meinen Namen flüstert, wie ein Echo, das mich daran erinnert, dass er da ist. Dieser Abgrund.

Und manchmal, manchmal, da trete ich ganz nah an die Kante und schaue hinab. Versuche mir vorzustellen, wie es da unten sein könnte. Nehme einen Zug der Dunkelheit und lasse mich von ihr ausfüllen, lasse mich von ihr antreiben, sie zu meinem stummen Motivator werden. Dann koste ich von dieser süßen Verheißung, die bis jetzt immer einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund und meinem Herzen hinterlassen hat. Ich versuche den Schmerz und die Gefahr und das Adrenalin zu erahnen, das mich bei einem Sprung durchströmen würde. Und immer wieder trete ich zurück. Immer wieder verabschiede ich mich sanft von ihr, dieser Dunkelheit in mir und schließe sie ein, bis sie von selbst wieder hervorgekrochen kommt, flüsternd und schleichend. Und immer wieder bricht die Wolkendecke auf und die Sonnenstrahlen erwärmen meine Haut. Immer wieder entfacht der Wind die Sparflamme zu einem gleißenden Feuer. Und immer wieder koste ich ein bisschen mehr von der Dunkelheit in mir, immer wieder reiche ich ihr die Hand, um sie zu einem Verbündeten zu machen, damit ich lerne, der Versuchung zu widerstehen.
Damit ich lerne, dass es in mir keinen Feind gibt, sondern nur einen Abgrund, an dem ich manchmal tanze.

(2) Kommentare

  1. Bennet sagt:

    Was treibt einen an diesen Abgrund und ist dieser Abgrund die Melanholie selbst? Ich glaube, die Melancholie ist nicht der Abgrund sondern das Tanzen. An diesem Abgrund drückt alles Innere, alle Empfindungen, ja, dein ganzes Selbst auf dich ein und doch macht diese Dunkelheit einen vielleicht erst sehend. Vielleicht lenkt das Licht vom Wesentlichem, vom Elementarem ab. Ich weiß, es klingt so widersprüchlich, eine Leere die einen erkennen lassen soll. Aber ergreift mich doch auch immer ein Gefühl des Erschaffens an diesem Abgrund, denn dieser Abgrund ist beim anschauen leer, aberer ist der Ursprung all meiner Gefühle, meiner Gedanken und nirgendwo fühle ich mich näher der Wahrheit als dort. Und deswegen ist es nicht wie ein am Rand gehen, sondern wie ein Tanzen. Deswegen habe ich keine Angst vor der Melancholie, sondern will ihr stets einen Platz geben, so, dass ich den Abgrund spüren kann, ohne zuzulassen, dass dieser mich komplett einnimmt. Sonst könnte ich ja nirgendwo tanzen!

    PS: Ich muss diese Worte hier auch anbringen, auch wenn sie nicht von mir kommen, doch Goethe hat es so treffend in einem Gedicht beschrieben:

    Meine Dichterglut war sehr gering,
    Solang ich dem Guten entgegen ging;
    Dagegen brannte sie lichterloh,
    Wenn ich vor drohendem Übel floh.

    Zart Gedicht, wie Regenbogen,
    Wird auf dunklen Grund gezogen;
    Darum behagt dem Dichtergenie
    Das Element der Melancholie.

    LG Bennet

    1. Charly sagt:

      Goethe beschreibt es wirklich sehr sehr gut. Melancholie ist in den meisten Fällen die Triebkraft kreativen Schaffens, deswegen sind meistens auch besonders melancholische Menschen sehr kreativ. Egal in was, aber halt auf ihre Weise. Ich habe auch letztens in einem Artikel darüber gelesen, dass Melancholie manchmal versehentlich mit depressiven Zügen verwechselt wird, weil Menschen, die stark dazu neigen melancholisch zu sein ihre eigene Ausdrucksweise in diesen Momenten finden müssen, um diese traurigen und düsteren oder philosophischen Gedanken in etwas Lebendiges, Eigenes, Geschaffenes umzuwandeln. Um den Gefühlen Platz zu geben sich zu entfalten. Um es raus zulassen, bevor man wirklich nur noch melancholische Momente hat, die dann ins depressive abrutschen können.
      Und ich glaube auch, dass ein wichtiger Schritt ist, zu akzeptieren, dass man so ein Mensch ist und diese Momente oder Phasen eben hat und es auch nichts bringt, sie „wegzulächeln“. Stattdessen sollte man diese Gefühle nutzen, um daraus etwas kreatives zu schaffen. Wie du schon schreibst, man sollte der Melancholie Platz geben, keine Angst vor ihr haben und ihr auch mal die Hand reichen, damit man keinen Feind in sich trägt, sondern einen Verbündeten, der meist erstaunliche Dinge hervorbringt.

      Es war mir wieder eine Freude, deine Gedanken dazu zu lesen, Danke 🙂
      LG Charly

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