Neu anfangen, immer wieder und wieder.

So viele Dinge erinnern mich noch an dich. Manchmal ist es nur ein Wort, eine Geschichte oder ein fremder Mensch, der dir in mancher Hinsicht ähnlich ist. So viele Erinnerungen sind mir dir verknüpft, so viele Geschichten mit dir verwoben. So viele Emotionen lassen mich an dich denken, so viel, dass Bedeutung für mich hat, verbinde ich auch mit dir. Und immer, wenn ich an Orten bin, an denen wir gemeinsam waren, denke ich noch an dich, ganz leise, wie ein Echo hallst du in mir nach und bist dennoch irgendwie da. Selbst an Orten, an denen ich vorher noch nie war, kommt es mir so vor, als wärst du da. In mir. Weil ich weiß, dass du alles ähnlich empfunden hättest, dass die Liebe, die ich spüre, die Faszination, die Begeisterung für diesen oder jenen Ort, die Natur, auch in deinen Augen gebrannt hätte. So klar und echt und ehrlich. Voller Ehrfurcht und Dankbarkeit für diesen Moment und die Erinnerung, die niemand wegnehmen kann.
Mir ihr hier neben mir traue ich mich zu erzählen, behandle die Erinnerungen, Geschichten und Emotionen so, als wären sie ein ganz normaler Teil meiner Vergangenheit, so als würden sie nicht mehr weh tun und sei es auch nur ein bisschen. Und das ist gut so, denn umso normaler ich diese Zeit behandle, umso normaler wird es auch für mich, dass sie vergangen ist. Es fällt schwer daran zu denken, es zuzulassen, doch ich begreife immer mehr, dass es nun mal so ist, dass ich nun mal manchmal daran erinnert werde, ganz automatisch an dich denke, genau wie ich an andere vergangene Momente denke, wenn mich etwas daran erinnert. Da war diese Zeit mit dir und ich kann sie nicht auslöschen -nicht, dass ich es wollen würde-, aber ich versuche zu akzeptieren, dass sie zu mir gehört, genau wie jede andere meiner Erinnerungen in meinem Leben. Es ist okay, daran erinnert zu werden, okay, daran zu denken, darüber zu reden, Vergangenes wieder aufleben zu lassen, Geschichten von Momenten zu erzählen, die immer noch in mir sind. Diese Zeit ist ein Teil von mir und wird es wohl auch immer sein, vielleicht blasser und weniger schmerzhaft, aber dennoch da.
Manchmal fühlt es sich so an, als würde ich versuchen den Zustand vor dir wiederherzustellen, als würde ich verbergen wollen, wie ich mich verändert, was ich gelernt, erfahren, erlebt und wie ich in mancher Hinsicht vielleicht gewachsen bin. So als würde es -nur weil du nicht mehr in meinem Leben bist- nicht gerechtfertigt sein, dass trotzdem noch deine Spuren in mir glühen, dass sie flackern und vor sich hin glimmen und durch einen Windzug wieder angefacht werden. So als würde es bei so etwas einen Cut geben, nach dem alles vergessen und jedes Gefühl eingeschlafen ist. Aber so etwas gibt es nun mal nicht. Menschen, die in unser Leben treten und eine Bedeutung für uns haben, Menschen, die Spuren hinterlassen -positiv als auch negativ- sind nicht einfach weg, nur, weil man kein Anteil mehr an ihrem Leben hat. Etwas, das ebenso schön wie schmerzhaft sein kann. Sie leben in unseren Erinnerungen weiter, tauchen in alltäglichen Momenten auf, wenn ein bestimmtes Wort fällt, dieser Song läuft oder jener Ort um uns herum uns daran erinnert. Es ist fast so, als wäre unser Unterbewusstsein auf gewisse Weise mit diesem Menschen verbunden, als würde man immer noch spüren, wie es in der Seele nachhallt, was dieser Mensch im Innern berührt hat. Eben so, als wäre ein Teil immer noch da, der Teil, der in den eigenen Erinnerungen lebt. Ein Teil, der vielleicht gar nicht mehr so wirklich echt ist.

Ich habe einen Neuanfang begonnen, Wände gestrichen, Holz geschliffen, gebohrt, gehämmert, gemalert, Kisten ein- und ausgepackt, bin durch Möbelhäuser gerannt und hab mich auf Internetportalen verirrt. Ich sitze an meinem selbst gebauten Schreibtisch, starre ins Dunkle vor dem Fenster, betrachte mein Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelt und sehe mir alte Fotos von uns an, während ich Kram ausmiste, sortiere, aus- und wegpacke. Der letzte Koffer ist leer, der letzte Umzugskarton zusammengefaltet. Ich lese Briefe, betrachte Bilder und Erinnerungen, frage mich, ob deine Augen diese Worte erblicken werden.
Ich habe einen Neuanfang begonnen, Wände gestrichen, Holz geschliffen, gebohrt, gehämmert, gemalert, Kisten ein- und ausgepackt, bin durch Möbelhäuser gerannt und hab mich auf Internetportalen verirrt. Ich denke an dich, während ich den Deckel der Kiste öffne und die Figur herausnehme, sie kurz betrachte und ins Regal stelle. Es fühlt sich an, als wäre es zum ersten Mal okay für mich, dass ich an dich erinnert werde, wenn ich sie sehe. Als würde ich beginnen zu akzeptieren, dass ich die vergangene Zeit mit dir, die Erfahrungen, die ich gemacht und die Lektionen, die ich gelernt habe nicht missen will und dass der Schmerz neben all den guten Gefühlen, die in mir aufblühen, wenn ich an dich denke, einfach noch dazugehört. Es fühlt sich an, als würde ich langsam aber sicher beginnen zu verstehen, zu akzeptieren und loszulassen, als würde sich endlich Stück für Stück etwas lösen, das lange mein Herz umklammerte. Und immer, wenn ich dann an dich denke, hoffe ich, dass es dir gut geht, dass du neu anfängst so wie ich. Dann wünsche ich mir einfach nur, dass du glücklich wirst und Frieden in dir spürst, weil du es verdienst, so viel mehr als du vielleicht selbst glaubst.
Und mit der Zeit merke ich, wie Orte oder Dinge, Emotionen, Lieder oder Filme mit meinen eigenen neueren Erinnerungen überschrieben werden, so als würden sich die winzigen Verknüpfungen langsam lösen und neu verbinden. Als würde die Glut immer mehr erlischen, als würde es windstiller um mich werden, weil meine Schritte sich von dem Strand entfernen, an dem ich dich gefunden hab. Als würde immer mehr verblassen, welche Spuren du in meinem Innern hinterlassen hast.

(4) Kommentare

  1. Kai sagt:

    Wenn es eine Sache gibt, über die keiner von uns sich jemals ergeben wird, dann ist es die Liebe. Egal ob Monate oder Jahre später, es reicht wenn eine Erinnerung oder ein Traum uns diese Liebe wieder vorzeigt und dann sind wir ihr für einige Momente ausgesetzt, mit aller Freude, mit aller Trauer. Bei deinen Zeilen ist mir eine Songstrophe in den Sinn gekommen: „Nicht mal das Meer darf ich wieder sehn, wo der Wind deine Haare vermisst. Wo jede Welle ein Seufzer und jedes Sandkorn ein Blick von dir ist. Am liebsten wär ich ein Astronaut und flöge auf Sterne wo gar nichts vertraut und versaut ist durch eine Berührung von dir. Ich werd niemals so rein und so dumm sein wie weißes Papier.“

    Besser könnte ich es nicht ausdrücken und deswegen lasse ich das so stehen.

    Ein sehr schöner Text war das von dir. Danke fürs Teilen.

    LG Kai

    1. Charly sagt:

      Wieder mal ein schöner Kommentar von dir, Kai. Danke dafür 🙂
      Ich musste das Zitat zwei Mal lesen, bis ich wirklich begriffen habe, was es ausdrückt und ja, du hast Recht, man kann es definitiv so stehen lassen. „Wo gar nichts vertraut und versaut ist durch eine Berührung von dir“, spiegelt für mich eins zu eins das Gefühl wider, was ich versucht habe in meinem Text zu transportieren. Diesen Abdruck, den der andere hinterlässt, diese Spuren, die tiefer wiegen als bei anderen Menschen, dieses Erinnern, ganz still und leise, fast nur im Hintergrund, wie ein Echo, das nachhallt und trotzdem irgendwie da ist.

      Danke dir für deine Worte und dein Feedback!

  2. Nadja sagt:

    Mit Abstand einer der Texte, der mich am meisten berührt hat. Dein Beitrag zeigt, dass Liebe immer was Schönes hat, auch wenn sie in uns die schlimmsten Schmerzen auslösen kann. Doch in jeder kleinen Lücke des Schmerzes gibt es eine Freude, ein Glück, das uns immer wieder überkommt. Das Glück, das man mit dieser einen Person teilen kann. Ganz egal, ob Beziehung oder Freundschaft. Die Erinnerung wird ewig bleiben, auch wenn es einen tieftraurig macht, dass diese Person nicht mehr da ist – ist sie tatsächlich immer doch da. In unserem Herzen. Das hast du mit deinen Metaphern, deinen Erlebnissen und dem Stil gezeigt. Danke dafür, denn wir sind mit dieser Thematik nicht allein. Doch es geht weiter. Neue Erinnerung kommen, doch sind wir ehrlich, diese bereits erlebten Erinnerungen können nicht überschrieben werden, ich glaube, es fällt uns mit der Zeit einfach leichter auf diese zurückzublicken. Danke fürs Teilen, Charly!!

    1. Charly sagt:

      Loslassen können, genau das ist es, dass so schwer ist zu lernen und trotzdem eine enorme Kraft und Chance in sich verbirgt. Manchmal muss man die Dinge einfach ihren Lauf nehmen lassen, etwas oder jemanden Geliebtes/n gehen lassen und darauf vertrauen, dass sich die Wege nochmal kreuzen werden. Vertrauen ins Leben haben. Manchmal schafft das Loslassen von Menschen Platz, sich neu zu entwickeln, zu orientieren, mehr zu sich selbst zurückzufinden und auch die Freiheit, dass beide wieder aufeinander zu gehen können, wenn durch die Distanz all der Schmerz, all das Komplizierte, was vielleicht noch zwischen ihnen stand, zur Ruhe gekommen ist.
      Meistens kann man aus ein wenig Abstand viel besser erkennen, was es wirklich ist, dass man im Leben braucht und möchte. Ob dieser Mensch es wert ist, später wieder auf ihn zuzugehen. Und bevor es soweit ist, trägt man die Erinnerungen im Herzen und die Erfahrungen im Kopf, wo sie hoffentlich etwas auslösen.
      Egal ob Beziehung oder Freundschaft -wie du so schön geschrieben hast- manchmal entfernt man sich von geliebten Menschen, um später vielleicht wieder zu ihnen zurückzufinden, oder um festzustellen, dass die Zeit schön war, aber nicht das, was man in diesem Moment seines Lebens möchte.

      Danke für deinen Kommentar.

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