Ich scrolle durch Instagram, sehe, was meine Freunde gerade so machen und Leute, die ich denke zu kennen, weil sie mir ihr Leben zeigen, aber die ich noch nie kennengelernt habe.
Ich scrolle durch Instagram und sehe inspirierende Zitate, ich sehe junge meditierende Frauen, die bereits mit 25 erfolgreiche Influencerinnen sind, gefühlt jeden Monat aus einer anderen Stadt, von einer anderen Insel, aus einem anderen Land Stories posten und immer um sechs Uhr aufstehen, um ihre Stunde Yoga durchzuziehen.
Ich scrolle durch Instagram und sehe Blogger, deren kompletter Kleiderschrank aus Fair Fashion zu bestehen scheint, wo ein Shirt 45,- kostet und die jeden Donnerstag auf den lokalen Gemüsemarkt um die Ecke einkaufen gehen und jegliches Verpackungsmaterial aus ihrem Alltag beseitigt haben.
Ich scrolle durch Instagram und sehe Wespentaillen und Bubble Booties, ich sehe dicke Oberarme und Six Packs, schöne Menschen und schöne Dinge und schöne Tiere und schöne Sprüche.
Ich scrolle durch Instagram und sehe die Leben von Millionen von fremden Menschen, sehe nur das, was sie mit mir teilen möchten und beurteile sie automatisch danach, weil das eben einfach so passiert, wenn man es nicht aufhält.
Ich scrolle durch Instagram und sehe viele Sachen, die ich auch so mache, viele Sachen, die mich inspirieren und von denen ich profitieren kann.
Ich scrolle durch Instagram und sehe viele Sachen, die ich nicht so mache, viele Sachen, die ich nicht habe und die mir nicht möglich sind. Ich scrolle durch Instagram und bin okay damit. Ich weiß, was ich habe und was mir möglich ist und was ich vielleicht noch ändern will. Aber manchmal scrolle ich auch durch Instagram und spüre diesen Druck auf mir. Diesen Selbstoptimierungswahn, der nicht nur in Social Media, sondern auch in Realität um sich greift wie eine Epidemie, die manche Menschen als Zombies zurücklässt. Blutleer und ständig gierig nach neuem Input, Gehirnen, um wieder etwas Leben in sich zu spüren. Selbstoptimierung. Die Sucht nach Glück und Zufriedenheit, nach innerer Erfüllung und Lebendigkeit. Die Sucht, die wir ja alle in uns tragen.
Du sollst dich hinterfragen und reflektieren, du sollst dich gesund ernähren und früh aufstehen, um produktiv zu sein. Du sollst erfolgreich sein, am besten bereits in jungen Jahren, damit du ganz viel reisen und die Welt erkunden kannst. Du sollst immer stylish aussehen, aber nur Fair Fashion oder Second Hand kaufen, weil alles andere den Planten zerstört, du sollst am besten vegan leben, jeden Tag Sport machen und wissen, was du willst im Leben. Sollst wissen, wer du bist und wer du sein möchtest und warum du so bist wie du bist und was dein Leben für einen Sinn hat. Du sollst wissen, was dich glücklich und was dich zufrieden macht.
Sollst dieses und jenes. Genau das spüre ich manchmal, wenn ich durch Instagram scrolle. Selbstoptimierung.
Spätestens im Abi wurde ich gefragt, was ich machen will nach der Schule. Und immer wieder begegnet mir diese Frage, nicht unbedingt von anderen, sondern meistens von mir selbst. Diese Frage, die sich eingebrannt hat, als diese feste Struktur der Schule, in der man aufgewachsen ist und in der man keine andere Wahl hatte, als das zu tun, was einem vorgegeben war, weggebrochen ist. Als man plötzlich frei war. Was machst du jetzt? Was willst du in deinem Leben? Was kommt als Nächstes?
Und wir haben das Gefühl eine Antwort kennen zu müssen, am Besten jetzt sofort. Wir haben das Gefühl, wir müssen genau jetzt das finden, das uns unser Leben lang glücklich macht. Mit dem man am besten noch gut Geld verdienen kann und dass unser ganz spezieller Sinn im Leben ist auf irgendeine Weise. Wir wollen auf keinen Fall in die Schiene rutschen, nur zu arbeiten, um zu arbeiten und werden von den kleinsten Ärgernissen im Studium, in der Ausbildung, in sonst was abgeschreckt, weil wir sofort denken: Ist es dann überhaupt das Richtige?
Wir denken, es gäbe nur dieses Eine. Denken, es muss doch einfach und klar definierbar sein. Aber das ist es nicht.
Wir wissen nicht, ob es richtig ist, was wir tun, egal bei was. Aber ob wir es tun oder ob wir es sein lassen, macht einen Unterschied. Und von allen Seiten, von den Medien, von Büchern, Zeitschriften, Familienmitgliedern und Freunden brüllt uns dieses Selbstoptimieren entgegen.
Dieses eine Buch, was dir erklärt, was für einen Einfluss deine Kindheit auf deine jetzige Persönlichkeit hat und wie du damit ins Reine kommst. Dieser eine Influencer, der schon wieder eine neue Routine etabliert hat und jetzt noch produktiver und effizienter lebt. Dieser eine Freund, der immer besser ist in dieser einen Sache, egal, wie sehr du dich anstrengst, es ihm gleich zu tun.
Es passiert viel Scheiße in dieser Welt, vieles läuft falsch und ungerecht, manchmal kommt es mir zwischen Trump & Co., Klimakrise und Fridays For Future, Rassismus und eventuell drohender Inflation so vor, als stünden wir kurz vor einem Weltuntergang, um es schön pathetisch auszudrücken. Als würde alles bald den Bach runtergehen. Als würden die Mayas sich vielleicht einfach nur um ein paar Jahrzehnte verrechnet haben. Und manchmal kommt es mir dann so vor, als würde das alles keinen Sinn machen. Wieso arbeiten und studieren, zur Schule gehen, wenn all das anscheinend so scheiße ist? Wozu, wenn wir uns in ein paar Jahrzehnten vielleicht nicht mehr um unsere Noten, sondern darum sorgen, wie wir an Trinkwasser kommen? Wenn man das Gefühl hat, man kann gar nicht alles so richtig machen, wie wir es bräuchten, um dieses 1,5 Grad Celsius Erderwärmungsziel zu erreichen, aber nicht mehr. Vor allem, wenn man die ganzen Menschen sieht, die davon immer noch keinen Plan haben, die dir mit ihren fünfzigtausend Plastiktüten in der Bahn gegenüber sitzen.
Und dann ist da diese Selbstoptimierung, diese Trends auf Instagram, die dich anschreien, dir ein schlechtes Gewissen einreden, wenn du doch ab und zu manchmal Wehmut nach einem Schnitzel hast, auch, wenn es nicht besonders gesund ist und der Umwelt schadet. Und du das alles ganz genau weißt und auch, was es mit deinem Körper macht und was in deinem Blut passiert durch die Fette, aber du trotzdem denkst, Joaa son Burger wär jez schon ganz nice.
Und ich scrolle durch Instagram und sehe viele Leben, aber nicht meins. Meins sehe ich durch meine Augen. Ich rieche es durch meine Nase und höre es mit meinen Ohren. Ich schmecke es mit meiner Zunge und tanze es mit meinen Beinen. Ich lache und küsse es mit meinem Mund und weine es mit meinen Augen und meiner ganzen Seele. Mein Leben steckt nicht in dieser App, genauso wenig wie das, der Millionen anderen Menschen, die wir manchmal glauben zu kennen. Es ist nur ein Teil von ihnen, nur das, was jeder bereit ist zu zeigen. Meistens nur wenige Sekunden ihres 24 Stunden Tages in ihrer Story. Und hinter diesem ganzen Selbstoptimierungswahn, hinter dem Wunsch, sich selbst und seine Handlungen und Gedanken bis ins kleinste Detail verstehen zu können, hinter dem Wunsch immer Besseres aus sich selbst herausholen zu wollen, steckt vielleicht einfach nur der, dazugehören zu wollen. Akzeptiert und anerkannt zu werden. Und vielleicht sollten wir uns selbst optimieren, an uns selbst arbeiten, wegen uns selbst und für uns selbst. Vielleicht sollten wir einfach auch mal zufrieden mit uns sein. Mit dem, wer wir sind und damit, dass wir eben nicht genau wissen, wer das ist, aber wir es immer weiter herausfinden und genau das ja auch das Spannende ist. Vielleicht sollten wir alle mal chillen, um es etwas platt auszudrücken. Vielleicht sollte ich mal chillen. Den Druck rausnehmen. Vielleicht sollte jeder das tun, was er für sich umsetzen kann und möchte und nicht darauf vertrauen, dass Meditation oder diese eine Yogapose der eine rettende Ansatz ist, nur, weil er tausende andere Menschen zum Erfolg eines erfüllten Lebens gebracht haben mag.
Ich scrolle durch Instagram und sehe Leben. Deins, Ihres, Seines, Fremde und das meiner Freunde. Ich sehe die Leben, die sie mir zeigen wollen, ich sehe schöne Dinge und schöne Menschen, ich sehe Photoshop und inspirierende Zitate.
Ich scrolle durch Instagram und sehe tausend verschiedene Weg, wie andere Menschen ihr Leben leben, wie sie ihr Glück erreichen und ihre Werte und Ideale vertreten.
Ich scrolle durch Instagram und sehe das ein oder andere Vorbild, das mich inspiriert und motiviert. Und wenn ich all das mal nicht sehe, dann versuche ich es einfach sein zu lassen. Denn dann bringt es mir nichts, dann scrolle ich nicht durch Instagram, versuche mal nichts optimieren zu wollen, mich nicht schlecht wegen der gefühlt dreißigsten Folge meiner Serie oder dem Fakt, dass ich heute doch nicht mehr zum Sport gegangen bin, zu fühlen. Weil Selbstoptimierung doch auch nur solange Erfolg bringend ist, wie man sich selbst und nicht andere damit glücklich macht, oder nicht?