Bei diesem Text handelt es sich um eine Abiballrede, die ich zu meinem Abschluss vorgetragen habe.
Sie sagen, wir werden die Schulzeit vermissen.
Sie sagen, die Jugend ist die schönste Zeit. Eine Zeit voller Schönheit und Lebensfreude.
Sie sagen, wir sollen diese Jahre genießen, sie in uns aufsaugen und in unseren Herzen verschließen.
Sie sagen, dass es danach schwerer wird. Härter. Dass wir dann aus dem Welpenschutz entlassen sind, in den sie uns gehüllt haben, als wir das erste Licht dieser Welt erblickten.
Sie sagen, sie werden da sein, immer. Auch dann, wenn wir glauben, allein zu sein.
Sie sagen, wir sollen uns ausprobieren, denn jetzt tragen wir ausschließlich für uns selbst die Verantwortung. Für uns und unsere Entscheidungen.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber dieses Jahr war die Zeit in meinem Leben, in der ich die meisten Entscheidungen treffen musste. Und nicht einmal kleine Unbedeutende wie die Auswahl einer Eissorte oder die Wahl zwischen zwei Liedern.
Nein, dieses Jahr ging es darum zu entscheiden, was man mit dem Rest seines Lebens anfangen will. Was der nächste Schritt in unserer Biografie ist. Ob wir studieren wollen und wenn ja, wo und was und wie?
Ob wir eine Ausbildung beginnen oder doch lieber ins Ausland gehen wollen?
Die Entscheidungen waren unzählig und weitreichend, denn immer wieder schwirren uns diese Fragen im Kopf herum. Ist es richtig? Ist es das, was ich will?
Aber dieses Jahr war nicht nur ein Jahr voller Entscheidungen, sondern auch voller erster und letzter Male. Das erste Mal alleine Auto gefahren, das erste Mal ein Bewerbungsgespräch durchgestanden, das erste Mal einen Aufnahmetest absolviert, das erste Mal entschieden weit weit weg zu gehen und lange nicht wieder zu kommen, das erste Mal mehrere Wochen auf eine Prüfung vorbereitet und nicht erst zwei Tage vorher angefangen zu lernen, das erste und letzte Mal eine Mottowoche und einen letzten Schultag gefeiert.
Und bei all diesen Entscheidungen, Pflichten und ersten und letzten Malen kann man so richtig Angst kriegen. Angst, dass man versagt, dass man nicht das schafft, was man will.
Angst, dass alles zu viel wird und man den Boden unter den Füßen verliert.
Angst, dass man sich falsch entscheidet oder in einem ausschlaggebenden Moment nicht voll und ganz bei der Sache ist.
Und diese Angst kann einen lähmen, sie kann einen nachts wachhalten und wüschen lassen, all das wäre bereits vorbei.
Doch nun sitzen wir hier. Haben all den Stress hinter uns, all die Arbeit und die kräftezehrenden Stunden. Wir mussten Niederlagen und Zurückweisungen einstecken, saßen mit rauchenden Köpfen bis zur letzten Minute in der Schule und fragten uns, wann das alles ein Ende hat, denn bei uns allen fehlte auf den letzten Metern einfach die Kraft.
Und trotzdem haben wir uns zusammengerafft, wir haben weitergemacht und sind einen Schritt nach dem anderen gegangen. Wir haben uns gegenseitig Kraft gegeben, uns motiviert und von all den fiesen Gedanken und Zweifeln in unseren Köpfen abgelenkt, bis die Stimme der Angst nur noch ganz ganz leise war. Und nun sitzen wir hier.
Haben endlich den letzten Tag erreicht, für den viele von uns so lange arbeiten mussten. Wir sind erschöpft, ausgelaugt von diesem Endspurt, diesem Dauersprint, der vor einem halben Jahr begonnen hat. Und trotz dem wir bereits angehalten haben und endlich durchatmen können, spüren wir immer noch die Bewegung in unseren Beinen, den Druck auf unserer Brust, als würden wir immer noch laufen. Und jetzt frage ich euch, liebe Mitschüler, nach all den Strapazen und all der Arbeit, hat es sich gelohnt? War es all den Schweiß und all die scheinbar endlos andauernden Tage wert?
Meine Antwort lautet: Ja.
Allein für dieses Gefühl, das uns heute Abend alle ausfüllt, hat sich diese Zeit gelohnt. Der Sprint ist zwar zu ende, doch ein neuer Ausdauerlauf steht schon bevor. Ich freue mich schon darauf, denn all das Neue und all die Hürden, die wir nehmen werden müssen, lassen uns wachsen.
Seht euch um, betrachtet eure Mitschüler, die ihr so viele Jahre jeden einzelnen Tag gesehen habt. Merkt euch ihre Gesichter, ruft euch Momente ins Gedächtnis, die ihr mit ihnen geteilt habt und denkt an all die schönen Tage, an denen wir zusammen gelacht, geweint und gefeiert haben.
Seid euch sicher, dass ihr all die Geschichten über den einen oder anderen nicht vergesst und nehmt ein letztes Mal ganz bewusst die Anwesenheit dieser einen Person wahr, achtet auf ihre Eigenschaften, auf die kleinen Macken, die diesen Menschen besonders machen.
Denn heute ist es für viele vielleicht das letzte Mal für eine lange Zeit, dass sie sich sehen.
Heute gehen wir auseinander, erfüllt mit all den schönen und schmerzlichen Erinnerungen, all den Momenten, in denen wir enger zusammengewachsen und gereift sind.
Und vielleicht, vielleicht treffen wir später wieder aufeinander, blicken zurück auf diese Zeit voller Veränderungen.
Man sagt, jeder Lebensabschnitt ist das Kapitel eines Buches. Und wenn man ein Kapitel schließt, öffnet sich ein neues, unbeschriebenes. Doch ist diese Zeit nicht viel mehr als das gewesen?
Zwölf Jahre lang hatten wir diesen Rhythmus, diese Struktur, die uns die Schule verliehen hat.
Wir hatten Menschen an unserer Seite, die uns verstehen, uns auf unserem Weg begleitet haben. Freunde, die sich mit uns aufgeregt, uns aufgemuntert oder einfach nur zugehört haben.
Lehrer, die uns unterstützt und bestärkt haben.
Eltern, die immer da waren, hinter uns standen und sich um uns gesorgt haben.
Geschwister, die uns manchmal zur Weißglut, uns aber immer wieder zum Lachen gebracht haben.
All diese Menschen haben bis jetzt unser Leben, haben uns selbst geprägt. Und vielleicht waren die letzten Jahre nicht nur das erste Kapitel eines Bestsellers, vielleicht waren sie vielmehr der Prolog, der alles einleitet, die Charaktere vorstellt und von Anfang an den Ausgang dieser Geschichte beeinflusst hat.
Vielleicht waren die letzten Jahre die Vorbereitung auf all das, was nun auf uns wartet. All das Unbekannte und Aufregende.
Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, ein paar Schritte allein zu gehen mit Menschen, die in unserer Nähe sind, um uns aufzufangen, sollten wir einmal fallen.
Vielleicht sollten wir diese Hand, die uns bis jetzt immer gestützt hat, loslassen und auf all das Gelernte vertrauen. Vertrauen, dass wir gut so sind wie wir sind. Dass wir alles schaffen können, wenn wir nur hart genug dafür arbeiten.
Sie sagen, wir werden die Schulzeit vermissen.
Sie sagen, die Jugend ist die schönste Zeit. Eine Zeit voller Schönheit und Lebensfreude.
Sie sagen, dass es danach schwerer wird. Härter.
Aber wisst ihr, was ich glaube? Sie lügen.
Denn wer sagt, dass unsere Jugend jemals enden muss? Wer sagt, dass schwerer unbedingt schlechter bedeutet? Jede Herausforderung, jede scheinbar unüberwindbare Hürde lässt uns wachsen und formt unsere Persönlichkeit, macht uns stärker und robuster.
Denn alles ist schwer, bevor es leicht ist.
Wir dürfen nie vergessen, dass wir nicht leben, um zu arbeiten, sondern dass wir arbeiten, um zu leben. Und jeder von uns sollte selbst entscheiden, wie er leben und mit was er seine Zeit verbringen möchte. Wie er Arbeit definiert und was sie für ihn bedeutet. Was er erreichen und welche Ziele er verwirklichen will. Wonach er strebt und was er sich ersehnt.
Und ich bin davon überzeugt, dass unser ganzes Leben voll von Schönheit und Lebensfreude sein kann, wenn wir mit einer positiven Einstellung unseren Weg beschreiten, mit Menschen an unserer Seite, die wir lieben. Denn wenn die Jugend unsere Zukunft ist, sollten wir diese
in uns so lange wie möglich wachhalten, sie schüren wie ein Feuer, dessen
unermüdliche Flamme niemals ausgehen darf, damit immer ein kleiner Lichtschein
die Dunkelheit durchbricht.