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Urlaubsimpressionen

Stell dir vor, du stehst an einem Strand.
Du spürst die Hitze der Sonne auf deinem Gesicht, schmeckst das Salz des Meeres auf deinen trockenen Lippen. Du hörst das Rauschen der Wellen, die sich mit ihren schäumenden Kronen am Strand brechen und langsam auslaufen. Die Überreste ihrer gewaltigen Ursprünge umspülen sanft deine Füße und locken dich weiter ins Wasser hinein.
Du beobachtest die hohen Palmen, die sich im Wind wiegen, ihre grazile Form, die sich in den strahlend blauen Himmel schraubt. Und über allem liegt diese Musik, die dein Blut in Wallung bringt und sofort in deine Fingerspitzen fährt, die im Rhythmus der Töne gegen dein Bein klopfen. Stell dir vor, du erlebst all das mit einem Lächeln auf den Lippen, feuchten Handflächen und einer erhitzen Haut. Der Geruch nach Sonnencreme und Sand verfolgt dich und Steine stechen ab und an in deine Fußsohlen, doch du bist glücklich.
Kinder spielen im Wasser, jagen sich durch das nasse Blau und werfen mit Algen um sich. Ihr Lachen erwärmt deine Brust und das Glück, das von ihnen ausgeht, erfüllt ihre Umgebung mit einem unverkennbaren Leuchten. Die Eltern sitzen am Strand im kühlen Schatten der Palmen, ein Lächeln auf den Lippen, während sie kalte Getränke in den Händen halten und ihren Sprösslingen beim Spielen, ja beim Kind sein, zusehen.
Gruppen von Menschen nähern sich, tragen Flaschen mit Schnaps und Kühlboxen voll mit Eis mit sich, begrüßen Freunde und Bekannte mit einer herzlichen Umarmung, lassen sich im Sand nieder und schenken großzügig aus. Ihr Lachen steckt an und auch auf deine Lippen stiehlt sich abermals ein Lächeln. Ein Vater hält seine Tochter auf dem Arm, wagt sich vorsichtig ins Wasser und sieht sanft auf sein Kind hinunter, das sich in unbegründeter Angst vor den nassen Fluten an seinen Hals klammert. Der große Bruder springt mit seinen schlaksigen Beinen vor den beiden auf und ab und spritzt mit Wasser umher, seine Lippen sind zu einem breiten Grinsen verzogen. Irgendwo hinter dir lümmeln Jugendliche einige Meter abseits unter ihrer eigenen kleinen Palme, versuchen Abstand zwischen sich und ihre Familien zu bringen, um ungestört zu sein. Ihre Zehen sind im Sand vergraben, die Hände halten Becher, in die heimlich Alkohol gemischt wurde. Die Mädchen fahren mit ihren Fingern durch ihre vom Salz des Meeres verklebten Haare, versuchen Ordnung in das Wirr Warr zu bringen. Die Jungs lachen über einen schlechten Witz und klopfen sich auf die Schultern. Jemand verteilt Lollis, die die Jugendlichen dankbar annehmen und voller Genuss in den Mund stecken.

Stell dir vor, dass du dich wunderst, diese jungen Frauen und Männer mit Lollis in den Mündern zu sehen, zu beobachten, wie sie in kindlicher Freude die Sorten tauschen oder sich gegenseitig helfen, die Packungen zu öffnen. Lachen schallt von überall her und noch mehr Menschen kommen dazu, Kleinkinder wackeln auf ihren kleinen pummligen Beinen über den Strand, fallen hin, stehen auf und laufen weiter.
Stell dir vor, wie du auf der Liege sitzt, die diese Menschen nicht benutzen dürfen, weil sie nicht dafür bezahlt haben. Weil sie es sich erst gar nicht leisten können.
Stell dir vor, du sitzt einige Meter entfernt und beobachtest all das nur aus der Ferne mit einem verträumten Blick, so als wäre all das gar nicht die Realität.
Stell dir vor, diese Menschen beachten dich gar nicht, so als wärst du gar nicht da oder sehen dich mit neugierigen Blicken von der Seite an, weil sie ganz genau wissen, dass du nicht von hier kommst. Dass du aus einem der reicheren Länder kommst.
Stell dir das Gefühl vor, dass sich dabei in deiner Brust ausbreitet, wenn du siehst, wie glücklich diese Menschen sind, wenn sie zusammen sind, wenn sie sich einfach nur an der Schönheit eines ruhigen Strandes und des Meeres erfreuen.
Doch sieh nicht zu genau hin, achte nicht auf die Details. Ignoriere die Müdigkeit in ihren Gesichtern, die auch das glücklichste Lächeln nicht ganz kaschieren kann.
Ignoriere die tiefen Furchen, die sich in ihre Haut gegraben haben, Zeichen von Erschöpfung und Symbole der Sorgen. Ignoriere den Müll hinter dem sauberen Strand, den Gestank des Verkehrs auf den schmalen Straßen und die zusammengeschusterten Blechhütten, die neben Viehweiden und vertrockneten Zuckerrohrfeldern ganz verloren in der Gegend herumstehen. Ignoriere das Gefühl von Scham, das dich überkommt, wenn du dort sitzt, sie beobachtest und dir wünschst auch wieder einmal so ein pures reines Glück empfinden zu können.
Die Scham, weil du ganz genau weißt, wie gut du es hast, wie sorgenfrei und weltoffen du leben kannst. Die Scham, weil du jeden Tag mit so kleinen Problemen im Gegensatz zu ihren kämpfst, dass du dir schmierig und abstoßend vorkommst.
Ignoriere das schlechte Gewissen, das sich wie ein hartnäckiger Virus in deinem Kopf festsetzt und dich mit Vorwürfen konfrontiert. Das dir zuflüstert, dass du so reich und diese Menschen so arm sind. Dass die Kinder in die Armut so wie du ins Reichtum hineingeboren wurden. Ignoriere den Drang, dir alle Haare von der Kopfhaut zu reißen, nur damit dieses Gefühl der Frustration verstummt, das sich in deine Gedanken gräbt, festbeißt und nicht mehr loslässt. Weil du ganz genau weißt, dass du nur eine winzige Figur in einem riesigen Spiel bist, die nichts ausrichten kann, das etwas verändert. Und du weißt ganz genau, wie unfair all das ist, wie ungerecht die Welt ihre Güter verteilt und entscheidet, wer in Not und wer in Sicherheit aufwachsen darf. Diese Frustration über deine Nutzlosigkeit treibt dich in den Wahnsinn, spielt ihr eigenes verschrobenes Spiel mit dir.
Du solltest all das ignorieren, um den Strand genießen, um das kühle Wasser an deinen Zehen spüren zu können und nicht den Verstand zu verlieren. Um dein Leben weiterleben zu können.

Doch zu was für einen Menschen macht dich das?

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