vom zu viel denken

„Du denkst echt zu viel.“, sagt sie und grinst mich an. „Bei manchen Gedanken, die sich in deinen Blogbeiträgen widerspiegeln, frage ich mich manchmal echt wieso du dir darüber Gedanken machst oder wie du darauf kommst. Ich würde mir nie über manche Themen, die du da so ansprichst einfach so Gedanken machen.“
Wir sitzen im Wintergarten ihres Elternhauses, die Bäuche voll mit selbst gemachter Spinat-Lasagne und einem trockenen Mund vom vielen Reden, trotz des Tees in unseren Händen. Ich hake nach, will wissen, ob sie wirklich findet, dass ich unverhältnismäßig viel nachdenke, obwohl ich die Antwort eigentlich bereits kenne. Ich weiß nämlich, und das schon lange, dass ich mir über mehr Dinge Gedanken mache, als andere Menschen.
Aber ist das unbedingt schlecht?

„Ich glaube manchmal zerdenkst du etwas zu krass und vergisst dabei dann, im Moment zu sein irgendwie.“, antwortet sie und ich bin erstaunt darüber, dass sie mir das so offen sagt. Erstaunt und dankbar, froh.
Es ist interessant mal die Meinung von Freunden oder auch Fremden zu hören. Eine andere, eine äußere Sichtweise. Ich kenne sie bereits länger, als manch andere Freunde, die ich in der letzten Zeit liebgewonnen habe, aber ich glaube so ein ehrliches und offenes Gespräch hatten wir in den ganzen Jahren noch nie so wirklich. Ich finde das schön. Das hier. Zusammensitzen und quatschen. Irgendwie fühle ich mich ihr gerade sehr nah, habe das Gefühl sie versteht viele von meinen Gedanken auf eine Weise, auf die ich sie selbst manchmal nicht richtig verstehe oder greifbar machen kann.
Ich denke zu viel und verpasse dadurch manchmal das Jetzt. Ist das so?
Lebe ich zu sehr in meinem Kopf und zu wenig im Außen, nur weil ich mir über Dinge Gedanken mache, auf die andere vielleicht gar nicht erst kommen? Stehe ich mir da irgendwie selbst im Weg?
Meistens sind diese Gedanken ja gar keine Worte in meinem Kopf, nichts Greifbares. Es ist eher wie ein Gefühl. Ein Gefühl des Grübelns. Und manchmal inspiriert mich eine Situation, ein Mensch oder ein Gegenstand so sehr, dass plötzlich Wörter in meinem Kopf aufploppen wie die Task-Fenster im Browser. Trotzdem ist das alles eher emotional als ein innerer Monolog, in dem ich mich mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen würde. Erst, wenn ich anfange zu schreiben, macht es Sinn. Erst dann formt sich dieses Gefühl des Grübelns, das manchmal sogar Tage oder Wochen um ein Thema kreisen kann zu richtigen, zu greifbaren Wörtern. Als würde ich erst beim Schreiben denken.
Ironischerweise beschäftigen mich ihre ehrlichen Worte, lassen mich, nun ja, nachdenken. Weil es nun mal ein Thema ist, das mir oft begegnet. Dass ich wohl anscheinend „zu viel“ denke. Grüble. In meinem Kopf lebe, zerdenke. Aber ist das denn schlecht? Ist das nicht auch irgendwie eine Chance, sich mit Themen auseinanderzusetzen, denen mehr Beachtung geschenkt werden muss? Oder sogar eine Chance, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen?

Ich finde es unglaublich befriedigend Dinge zu verstehen, sie einordnen zu können, die zufälligen und unklaren Zusammenhänge des Lebens klarer zu machen, zumindest für mich selbst und für mein Verständnis vom Leben. Irgendwie ist da etwas in mir, das verstehen muss. Sich selbst, andere, das Leben, die Welt. Oder das wenigstens glauben muss, zu verstehen.
Da wäre wieder die Frage von Realität. Ist es nicht vielleicht wirklich so, dass sich jeder von uns seine eigene Realität schafft? Seine Realität durch seine eigenen Augen sieht? Sein Bild von sich, von anderen, dem Leben und der Welt einzigartig ist, weil alles, was derjenige durch seine Augen sieht, mit seinen Ohren hört, subjektiv und gefiltert ist? Vorbelastet ist durch all die Glaubenssätze, Erfahrungen, Vorurteile, Denkmuster, moralischen Wertvorstellungen und Ideale, die dieser eine Mensch mit sich herumträgt? Gibt es Objektivität überhaupt, wenn jeder Mensch in seiner eigenen Realität lebt und auch sogenannte Fakten subjektiv aufnimmt und verarbeitet?

Natürlich hat sie Recht und zu viel denken kann gefährlich sein. Zu viel im eigenen Kopf zu leben, zu viel grübeln und Gefahr laufen, sich im Kreis zu drehen, weil es auf manche Fragen eben keine Antworten gibt. Oder du für dich selbst diese Antwort finden musst. Aber ich finde „zu viel“ denken kann eine Chance, eine Bereicherung sein, wenn man sich darauf einlässt und das Ganze vielleicht eher mit Leichtigkeit angeht. Sich von der einhergehenden Melancholie nicht runterziehen lässt. Ja, eine Bereicherung irgendwie, auch, wenn vielleicht viele die Augen verdrehen, wenn ich wieder mit einem Thema anfange oder eine Diskussion beginne. Es stimmt ja, manchmal ist es einfach der falsche Zeitpunkt für solche Gedanken, manchmal sehnt man sich nur nach Leichtigkeit, einem leeren Kopf und danach die Dinge so zu nehmen wie sie kommen, in den Tag hineinzuleben. So geht es mir ja auch. Aber das eine schließt das andere ja nicht grundsätzlich aus, vielleicht muss nur eine Balance gefunden werden. Ein Gleichgewicht zwischen Leichtigkeit und Schwere. Ein Drahtseilakt, den ich langsam aber sicher immer besser beherrsche, zumindest glaube ich das. Melancholisch zu sein, ohne zu sehr im eigenen Kopf zu leben. Zu grübeln, ohne Trübsal zu blasen. Zu Zerdenken, ohne die Leichtigkeit des Lebens zu verlieren. Zu hinterfragen, ohne sofort alles und jeden in Frage zu stellen.
Und am meisten Spaß macht es doch auch immer noch diese Gedanken zu teilen, rauszulassen, zu diskutieren, neue Impulse zu geben und selbst zu bekommen. Denn wenn die Schwere aus mir entweicht, wenn ich sie teilen kann, egal ob mit einem Freund, einem Fremden oder einem Blatt Papier, ist wieder genug Platz für Leichtigkeit in mir. Und Small Talk ist doch jeder irgendwann leid, oder nicht?
Also ja: Ich denke zu viel. Aber schlecht ist das nicht. Nicht für mich.

(1) Kommentar

  1. Laura sagt:

    Ich habe nie damit gerechnet in einem deiner Texte mal Protagonist spielen zu dürfen und dafür möchte ich mich erstmal bedanken und fühle mich wirklich sehr geehrt. 🙂
    Und dann wollte ich einfach noch danke sagen für diesen Moment, das Zuhören und Verstehen. Ja, Charly, du hast Recht: du meisterst den Drahtseilact (ich möchte es Drahtseiltanz nennen) immer und immer besser!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert