Von Johanna und rosa Wattewolken

Da sind irgendwie keine Wörter in mir. Ich weiß nicht, was ich schreiben soll, weiß nicht, was da gerade in mir vorgeht. Weiß nicht, welche Wörter die Gedanken in meinem Kopf, die Gefühle in meinem Innern widerspiegeln könnten. Da sind irgendwie keine Wörter in mir. Und dann gibt es so einen Tag wie gestern. Einen Tag mit ihr. Einer dieser Tage, wo man planlos mit Plan durch die Straßen zieht, wo man kleine Lädchen durchstreift und im Späti was zu Trinken kauft. Tage, wo ich mich wieder lebendig fühle, pulsierend, gedankenlos, mit Leere in mir. Keine Wörter, keine Wörter für dich mehr, keine Wörter mehr für uns. Da ist nur dieser Tag in mir, diese Minuten, diese Stunden mit ihr, wie wir auf dem Rasen sitzen umgeben von Menschen, die Musik hören und Gitarre spielen, englische Fetzen um uns herum, Lachen und Stimmengemurmel und die Sonne auf dem Rücken. Und ich sage zu ihr, dass ich in den fünf Minuten Friedrichshain hier mehr gesehen habe, als in zwei Monaten in meinem Wohnort. Wir reden über vieles, alte Geschichten, Hobbies und Familie. Wir reden über das neue Small Talk Thema Nummer eins, das mit dem Wetter konkurriert: Corona. Wissen beide nicht, was richtig und was falsch sein soll, was man tun oder lassen sollte, was gerechtfertigt ist. Wissen nur noch, dass wir vermissen. Das hier. Dieses Sitzen, dieses sorgenlose Beisammensein, von Menschen umgeben, die die Sonne und das Leben genießen. Vermissen wie es ohne Maßnahmen und Regeln und Richtig oder Falsch-Denkweise und Maske in jedem Laden und jeder Bahn war. Neben uns die kleine Tomatenpflanze, die in der Sonne steht und tapfer das Köpfchen hebt. Sie hat sie Johanna genannt, ich meinte zu ihr, jede Pflanze braucht einen Namen, damit man einen persönlichen Bezug zu ihr aufbaut. Sie meinte zu mir, dass Johanna ihr neues Projekt wird.
Wir lachen viel, gehen weiter. Ich merke, dass ich lächle, wenn ich solche Tage wie heute habe, fast schon dauerlächle, wenn ich von Menschen umgeben bin, mit denen ich mich gut unterhalten kann. Das tut gut, es tut so unfassbar gut. Und es sind diese Tage, wo ich keine Wörter mehr in mir hab, für dich, für uns. Einfach leer. Nur dieser Tag und die von grünen Bäumen gesäumten Straßen Friedrichhains, durch die wir letztes Jahr noch zusammen gelaufen sind. Heute mit ihr, mit ihr hier und nichts würde ich anders haben wollen. Später sitzen wir am Wasser, hinter uns die East Side Gallery und das laute Tosen der Stadt, vor uns zwei große Boote und die untergehende Sonne. Beide im Schneidersitz, beide ganz vergessen in dem, was wir sagen, in dem, was wir fühlen. Es ist erstaunlich, wie schnell es geht, dass man Freundschaft spürt zu einem Menschen, den man wenige Monate vorher noch gar nicht kannte, nicht geahnt hat, dass es ihn gibt. Aber hier sitzen wir, nehmen uns in den Arm, reden über Tiefes und Leichtes, hören zu, sagen viel oder auch mal nichts. Schweigen und sind jeder in eigenen Gedanken. Und es ist schön, da ist wieder dieses Leben in mir, pulsierend, gedankenlos, lebendig. Menschen am Ufer, auf der Straße, um mich, sie neben mir. Input, Neues, Bekanntes, aber in Berlin trotzdem immer auf eine gewisse Art anders.
Und dann reden wir über Urlaubspläne, über den Sommer, der jetzt ganz anders werden wird, als wir uns erhofft hatten. Ein Sommer, den wir sicherlich nie vergessen werden und den wir uns hier, genau hier, vornehmen trotzdem oberaffengeil werden zu lassen.
Für uns, mit uns, ein Sommer für Frauen.
Es ist ein verspieltes Rumgeplänkel, ein Träumen und Schwelgen, was man doch alles tun, wo man doch überallhin könnte. Und was gibt es Schöneres, als zusammen Pläne zu schmieden? Sich die Zukunft auszumalen, gemeinsam? Vorhin haben wir schon jeden alten VW Bus, der uns begegnete bestaunt, vorgestellt wie es ist dort drin zu sitzen, nebeneinander, vor uns die Autobahn und tausende Möglichkeiten, tausende Wege, Freiheit. Ich erzähle von Kroatien, sie von ihrem Auto, wir albern rum: ein Roadtrip wie cool wär das denn. Ist schon immer ein Traum von mir und steht schon lange auf meiner Bucket List, genau wie Kroatien. Ich öffne Google Maps, nur noch 1 Prozent Akku. Genau in dem Moment, in dem wir die Zeit lesen, die wir brauchen, wird der Bildschirm schwarz. Wir lachen. Laut. Wie schön. Vorher noch Prag? Wir fahren ja eh durch, laut Maps… Die richtige Spotify Playlist und Zelt ins Auto und ab geht’s, ich lächle, wie schön wärs. Ob so mein Sommer wird?

Am Bahnhof ist es wie ein kleiner Abschied, ich winke ihr noch, dann trennen wir uns. Bahnfahren ist schön, auch mit Maske. Der Ort, wo ich sonst jeden Tag gelesen habe, wo Musik hören Tagesprogramm war und kleine zufällige Begegnungen oder das ein oder andere Lächeln den Tag versüßt haben. Oder eine gute Geschichte ergaben. Auf dem Heimweg werde ich von dem pinken Himmel und den restlichen Sonnenstrahlen begleitet. Sie folgen mir im Rücken, während ich auf den leeren Straßen das Auto beschleunige. Laute Musik, viel aus den 2000ern gerade und meine schiefe Stimme dröhnen im Innern. Und in diesem Moment sind da irgendwie keine Wörter in mir, nicht mehr, nicht jetzt. Alles leer. Nur dieser Tag, sie und die Sonne, unser Lachen und die Pläne, diese Hoffnung, die sie mir gibt, dass es leichter wird mit der Zeit, dieses warme Gefühl und die Kraft. Sie, die immer da war, seit ich sie kenne, etwas, das so unglaublich schön und wertvoll ist.
An einem Feld steige ich aus, laufe über die Straßen, fahre mit den Fingerspitzen über die grünen Ähren, die so dankbar für die letzten Regentage sind und schaue dem verschwindenden Tageslicht zu. Rosarote Schlieren, die sich über den Himmel ziehen, Wattewolken zwischen den großen Strommasten und ein Vogel hinter mir in dem Baum, der seine eigene Melodie kundgibt, ganz anders als das, was eben noch aus den Lautsprechern des Autos dröhnte. Ruhe. Dieses letzte Tageslicht, dieser Moment nach dem Sonnenuntergang, dessen Spuren noch am Himmel zu sehen sind, diese Phase der Dämmerung, bevor sich die Schwärze der Nacht auf uns niedersenkt, besitzt eine ganz eigene Magie. Etwas Kraftvolles, Ruhiges, Melancholisches, eine Magie, die einen eigenen Text verdient hat. Und hier stehe ich, habe keine Wörter in mir, nur diesen Tag und unsere Pläne und unser Lachen, die Wärme und Kraft und Hoffnung und glaube mir selbst auch zum allerersten Mal seit Monaten, dass dieser Sommer wirklich unvergesslich werden wird.

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