Intelligenz oder/und Glück?

Manchmal sitze ich in der Bahn, betrachte all die Menschen um mich herum, ihre nach unten geneigten Köpfe, ihre Hände, die über Displays wischen oder eine andere halten, ihre Augen, die Wörtern auf Papier folgen oder dunkle Schatten tragen und frage mich, ob diese Menschen wohl glücklich sind? Ich frage mich, wie viele von ihnen glücklich sind und wie viele glauben, es zu seien?
Ich denke an das Gespräch letzten Abend in dieser dunklen Straße voller Bars und Menschen zurück. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, Wörter flossen aus mir heraus wie aus einem ambitionierten Springbrunnen. Es gibt diese Tage, an denen all die Gedanken, die sich in mir aufgestaut haben und noch nicht vollends ausformuliert sind, einfach raus müssen. Der Kellner kam zu uns und fragte, was wir trinken wollen. Ich unterbrach mich in meinem Redefluss, wir bestellten. „Happy Hour von Montag bis Freitag 12-0 Uhr“, las er von einem Aufsteller vor und schmunzelte darüber. „Ist das nicht eigentlich immer?“, fragte er. „Ja, schon, hätten sie eigentlich gleich so schreiben können.“ Wir grinsten.
Es war nicht besonders kalt, obwohl wir draußen saßen und es schon Ende September ist, doch ich war sowieso noch etwas aufgeheizt vom Training, von dem ich gerade kam. Es roch nach indischem Essen und den typischen Berliner Düften. Es roch nach Herbst. Wir redeten über verschiedene Dinge, Zwischenmenschliches, Belangloses, Alltagssexismus, Situationen aus unseren Leben. Er erzählte von einer bekannten Person, jemand wie Albert Einstein, so jemand, den eben jeder kennt, aber dessen Name ihm gerade entfallen ist, der wohl einmal gesagt haben solle, dass es für intelligente Menschen schwerer sei, glücklich zu sein. Nach dem Motto „Dumm fickt gut“ fiel mir sofort dazu ein, warum, kann ich nicht sagen.
Aber ist da was dran? Sind intelligentere Menschen schwerer glücklich? Natürlich fühlen sich Genies und Hochbegabte öfter nicht dazugehörig und anders, vielleicht gerade deshalb, weil sie sich überlegen fühlen, vermuten wir gemeinsam. Aber was ist Intelligenz? Ab wann gilt man als dieser intelligente Mensch, der schwerer glücklich ist als andere? Er meinte, er zähle sich selbst nicht dazu, trotzdem fühle ich, wie mich selbst dieses Thema, diese Worte nicht mehr loslassen wollen. Glücklich sein, ja, vielleicht ist das ja wirklich einfacher, wenn man selbst einfacher denkt. Wenn man nicht so viel nachdenkt, nichts hinterfragt, nicht wirklich reflektiert und nicht den Sinn in den Dingen, im eigenen Leben sucht. Doch liegt in all dem nicht auch die Chance auf eine Tiefgründigkeit, eine Erfüllung, auf ein Wachstum, welche man eben nur dadurch erreicht?
Später stoße ich auf ein Zitat von Ernest Hemingway, er schrieb: „Happiness in intelligent people is the rarest thing I know“. Ich halte inne, als ich darüber stolpere, weil es doch genau das wiedergibt, über das wir einen Abend zuvor noch gesprochen haben. Immer wieder begegnet mir die Frage, was Glück eigentlich ist. Und was es für mich ist. Wieso oft das Gefühl entsteht, es sei für alle anderen um einen herum so leicht, glücklich zu sein, als wäre das Leben ein Tanz, den alle anderen beherrschen und man selbst eben nicht. Dabei ist das nur ein Eindruck, der oft entsteht, wenn man nicht hinter die Kulissen schaut, denn eigentlich scheint fast jeder in meinem Umfeld, fast jeder, auf den ich treffe, einfach nur das Beste aus dem zu machen, was ihm gegeben wird bzw. wurde. So als würde all dieses Glücklichsein, von dem etliche Podcasts, Bücher und Influencer heutzutage sprechen, all diese Selbstfindung und -verwirklichung, all dieses Gedöns, das wichtig, aber nicht überbewertet werden darf, kein Ideal sein, das man erreichen muss, aber das als solches vermarktet wird. Es scheint so als würde jeder auf seine Art versuchen -salopp gesagt- mit seinem Scheiß klarzukommen, als würde das Leben wie ein Hindernislauf sein, auf dem alle mal stolpern, hinfallen, straucheln, weiterlaufen. Als würde es niemanden geben, der es besser macht, sondern einfach nur seinen eigenen Hindernislauf läuft und als würde es vielmehr darauf ankommen, wieder aufzustehen, wenn man hingefallen ist und sich gegenseitig auch mal über eine riesige Kletterwand zu helfen oder durch Matschpfützen hindurch. Und was ist dieses Glück nun eigentlich? Dieses Glücklichsein, von dem jeder spricht, das neben Work-Life-Balance und persönlicher Berufung zu so einer Art gesellschaftlichem Idealbild geworden ist. Ist es nicht einfach nur dieses momenthafte Aufblühen euphorischer Gefühle in einem selbst, dieses Überschwängliche und Warme in Momenten, die einen erfüllen und trotzdem so schnell vorbei sind wie sie kommen? Ist Glück nicht nur ein Begriff für die Emotionen, die wir verspüren, wenn wir uns freuen, wenn wir dankbar und zufrieden sind mit allem, was uns umgibt und gegeben wurde und sich all diese positive Energie in einem Augenblick entlädt, der so kurz wir ein Wimpernschlag ist? Ist dieses akute Glücklichsein nicht vielmehr nur der höchste Punkt, der Gipfel des Berges, den man besteigt, dessen Ausschicht man kurz genießt, um sich dann einem neuen Berg zuzuwenden? Ist es denn überhaupt möglich wahrhaft glücklich zu sein, wenn Emotionen wie Blätter im Wind umherwirbeln, wegfliegen und dem dauerhaften Willen einer anderen Kraft unterliegen? Ist es nicht eher so, dass wir sagen „Ich bin glücklich“, wenn wir uns in einer Phase befinden, in der wir tiefe Zufriedenheit mit uns selbst und unserem Leben spüren? Ist es nicht eher so eine Ruhe in uns selbst, eine Ausgeglichenheit, die sich in stiller Dankbarkeit äußert? Und dieser Zustand kann doch gar nicht von Dauer sein, ist kein Idealbild, das man erreichen und nicht mehr verlieren kann, er ist eher wie die Basis, auf dem wir alles andere aufbauen, auf dem sich jeder Tag  abspielt, unabhängig von diesen anderen Emotionen, die sich oberflächlich zeigen, wenn wir zum Beispiel verärgert oder traurig sind, aber die einfach nicht so tief wiegen können, wenn der Boden, auf dem sie wachsen und wieder eingehen aus Zufriedenheit, Dankbarkeit und Positivität besteht. Und kommt es nicht einfach darauf an, genau diesen Boden als Basis für sein Leben, für jeden einzelnen Tag, den man erlebt, zusammen zu klauben? So als würde man im Pflanzenmarkt verschiedene Bodenarten angefüllt mit unterschiedlichen Nährstoffen kaufen und in einem großen Topf zusammenmischen. Als würde man sich die Bestandteile eben nach und nach aneignen, erlernen und aufschnappen.

Ich schaue aus dem Fenster der Bahn, während sie über die Gleise rauscht, Fassaden ziehen draußen vorbei, der Himmel ist grau und auch Berlin wirkt grau, obwohl ich ganz genau weiß, wie bunt es ist. Ich betrachte all die Menschen um mich herum, ihre Gesichter, ihre Gesten, während sie reden, oder ihrer Musik lauschen. Ich frage mich, ob sie glücklich sind. Ich frage mich, auf welchem Boden ihre Tage gedeihen, was es ist, dass sie jeden Tag aufstehen und jeden Abend ins Bett gehen lässt. Ich lege den Ellbogen am Fensterrand ab und stütze das Kinn in die Hand. Sind intelligente Menschen schwerer glücklich? Was ist Intelligenz, wo beginnt sie und wo hört sie auf?
Ich denke über mich selbst nach, frage mich, ob ich glücklich bin, ob genau jetzt ein Moment ist, in dem ich mit Ja antworten würde, wenn mich jemand danach fragen würde. Ich frage mich, was es ist, dass mir manchmal fehlt, warum es immer noch Tage gibt, an denen eine Leere in mir ist, die ich nicht füllen kann. Wieso es Phasen gibt, in denen ich etwas suche und nicht mal weiß, was genau. Ich frage mich, was es für mich heißt, glücklich zu sein, frage mich, ob genau diese nachdenkliche, philosophische, melancholische, reflektierte Seite an mir, es mir schwerer macht, diese Frage nach dem Glück ganz klar mit Ja zu beantworten, so als würde ich immer denken, da geht noch was, da geht doch noch mehr.
Aber was ist es, dieses mehr? Und wieso streben wir immer noch nach mehr?

(2) Kommentare

  1. Kiara sagt:

    Glück ist in meinem Empfinden ein unfassbar vielschichtiger Begriff.

    Das „langfristige Glück“ bedeutet für mich Zuversicht. Die Kunst, DAS GLÜCK die eigene Lebenslage mit ihren Herausforderungen akzeptieren und möglichen Ängsten trotz allem zuversichtlich entgegen zu können.

    Das „kurzfristige Glück“ sind Momente der (zufälligen) Freude. Situationsgebunden. Emotionen und Gefühle sind kurzweilig, wie ein Atem im kühlen Morgengrauen. Das Vernehmen eines vertrauten Geruchs der Kindheit, das Lesen schöner Zeilen, wie deiner oder das Wiederentdecken alter Bilder. All das sind Momente in denen ich plötzlich Freude empfinde. In denen ich für einen Wimpernschlag meine zu merken, wie Hormone meinen Körper fluten. In denen ich die Wärme des Glückes spüren kann.

    1. Charly sagt:

      Absolut, gerade deshalb ist seine Bedeutung auch so vielseitig, komplex, subjektiv und ist manchmal schwer zu greifen.
      Danke für deinen Kommentar! Ich finde deine Beschreibung von langfristigem und kurzfristigem Glück wirklich sehr inspirierend und zutreffend. Genau so begreife ich Glück auch immer mehr, nicht mehr als Zustand, den es zu erreichen gilt, sondern als Prozess, villeicht sogar als Mindset, wie du beschrieben hast als Zuversicht mit Problemen und Herausforderungen umgehen zu können, positiv zu bleiben und auch als Phasen, die Schwankungen unterliegen. Kurzfristiges Glück sind genau wie du beschrieben hast für mich auch kurz andauernde Momente, in denen man erfüllt ist mit Euphorie und Lebensfreude, aber die genauso schnell wieder vorbei sind und gerade durch diese Vergänglichkeit eine Bedeutung beigemessen bekommen, denn würden wir uns dauerhaft in diesem Zustand befinden können, wäre das Leben vlt gar nicht mehr so lohnenswert.

      Ich würde mich sehr freuen, auch weiterhin hier von dir zu hören, Kiara 😀
      Liebe Grüße
      Charly

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