von mut und liebe

Ich wollte schon immer stark sein. Meine Definition von >stark sein< hieß: nicht schwach zu sein. Schwäche bedeutete für mich Tränen, Trauer, Angst, wahre Gefühle und Liebe zu zeigen. Ich wollte „cool“ sein, so erscheinen, als könnte mich nichts aus der Ruhe bringen, obwohl das genaue Gegenteil der Fall war, weil ich ein sehr emotionaler Mensch bin. Ich habe selten geweint als ich jünger war, meine engsten Freundinnen haben mich nie weinen sehen. Ich glaube das erste Mal habe ich letztes Jahr vor meinen Freunden bzw. vor einem anderen Menschen geweint, der nicht zu meiner Familie gehört. Ich habe nie Angst gezeigt, nie über das geredet, was mich im Innern eigentlich schon immer verunsichert hat, einfach, weil es für mich ein Zeichen von Schwäche war. Ich habe geschrieben, aber geredet habe ich nicht. Ich wollte mich nicht angreifbar machen. Angreifbar, weil ich eigentlich extrem unsicher war. Ich habe nie jemandem so weit vertraut, um ihn wirklich nah an mich heranzulassen. Ich weiß nicht, wie ich auf andere Menschen gewirkt haben muss, aber ich glaube diese Stärke, die ich versucht habe über all die Jahre, über die Zeit meiner Kindheit und Schulzeit aufrechtzuerhalten, hat es mir unmöglich gemacht, wirklich schöne Emotionen zu empfinden. Wirkliche Nähe zu empfinden. Vertrauen. Weil alles nur so platonisch war. Alles so oberflächlich. Weil ich nie zugelassen habe, dass jemand diese weiche Seite an mir sieht. Dieses Verletzliche, Nachdenkliche und ja teils auch Unsichere. Und ich glaube, dass es vielen Menschen so geht. Dass sie aus Angst vor Zurückweisung, aus Unsicherheiten oder schlechten Erfahrungen Mauern um sich bauen, die sie aber nicht nur vor negativen Erlebnissen, sondern auch vor vielen wirklich unfassbar schönen und mit Liebe gefüllten Augenblicken abschirmen. Stärke war für mich immer etwas extrem Wichtiges und ja, selbst jetzt kann ich nicht leugnen, dass ich es abgrundtief hasse, wenn ich schwach wirke oder denke, auf andere schwach zu wirken.

Aber ich habe für mich diese Begriffe neu definiert. Für mich ist es jetzt etwas anderes, stark zu sein. Oder eben auch mal schwach. Und selbst Schwäche ist für mich keine Schwäche in dem Sinne mehr. Ich glaube, wenn man anfängt einen Menschen, der einem viel bedeutet, sei es guter Freund oder Partner richtig an sich heranzulassen, so wirklich richtig nah, dann erlebt man, was es da eigentlich noch so gibt. Jenseits der Stärke, die man immer wie ein Schutzschild vor sich herumträgt. Plötzlich fühlt man alles. Und die Angst vor der Schwäche ist immer noch da, die Angst vor Zurückweisung, vor seinen eigenen Unsicherheiten, vor dem Verletzt-werden, doch der Mut siegt. Man vertraut, trotz der Angst, man geht über sie hinaus und noch so viel weiter. Man liebt aus diesem Vertrauen heraus.

Ich dachte früher immer, Angst, Trauer, Schwäche oder sogar das Zugeben, dass man etwas wirklich von Herzen liebt oder toll findet, seien Emotionen, die dich schwach machen, die ich nicht fühlen dürfte. Ich habe mir regelrecht verboten, diese Art von Schwäche zu zeigen, weil ich stark sein wollte. Weil ich niemanden brauchen wollte. Ich habe verleugnet, wer ich bin, weil es nicht diesem Idealbild, das ich von mir hatte, entsprach. Weil ich anders sein wollte, etwas sein wollte, das ich gar nicht war und das mich, wie ich jetzt weiß, auch nicht glücklich machen würde. Mut und Liebe, genau diese zwei Begriffe sind in dem letzten Jahr, vielleicht sogar anderthalb Jahren zu wichtigen Konstanten in meinem Leben geworden. Zu wichtigen Learnings. Ich habe ein starkes und weiches Herz und das zu akzeptieren, gerade diese vermeintlich schwache Seite zu akzeptieren war und ist unglaublich schwer. Madeleine Alizadeh, die in den sozialen Medien gemeinhin als DARIADARIA bekannt ist, schreibt über genau dieses Gefühl in ihrem Buch „Starkes Weiches Herz. Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können.“ Es ist ein Buch, das einige sehr intime Einblicke in ihr Leben als Influencerin, Bloggerin, Umweltaktivisten, aber auch als Frau und Mensch gibt. Sie beschäftigt sich darin mit vielen Fragen des Lebens und gibt einige Denkanstöße bezüglich vieler emotionaler Themen. Der zentralste Aspekt, den ich aus diesem Buch mitnehmen konnte, ist ein augenscheinlich sehr einfacher. Eine Erkenntnis, die ich bereits das ganze letzte Jahr tief in mir gespürt habe, aber nie so direkt formulieren konnte. Die Erkenntnis, dass wir nicht immer stark sein müssen, dass wir nicht immer gute Tage haben und uns auch nicht dafür verurteilen müssen, wenn es mal so ist. Dass jede Emotion, die wir fühlen, richtig ist und gefühlt werden sollte. Dass Trauer und Wut nicht einfach wegignoriert werden können und wir sie ausleben sollten. Dass jede Emotion ihre Berechtigung hat und wir uns nicht für sie schämen sollten. Dass wir stark sein können, auch wenn wir weinen oder unsere wahren Gefühle offenbaren. Dass wir viel öfter unsere wahren Gedanken, Ängste, Gefühle zeigen sollten, vertrauen sollten, weil dadurch eine so große Verbundenheit und Nähe entstehen kann. Dass wir alles einfach leichter nehmen sollten. Dass es viel mehr Stärke und Mut braucht, auch einfach mal wirklich ehrlich zu sein, verletzlich zu sein, richtig und wahrhaftig traurig zu sein und das auch zuzugeben. Zuzugeben, dass es scheiße weh tut und man eben nicht klarkommt. Dass es gerade nicht geht und auch nicht alles gut ist.

„Wir verletzen Menschen so oft mehr mit einer Wahrheit, von der wir denken, dass sie sie schützt, als mit der tatsächlichen Wahrheit.“ (Alizadeh, 2019, S.129)

Etwas, das ich gelernt habe ist, dass es Mut braucht, zu vertrauen und Dinge zu riskieren, wenn man eben nicht weiß, wie es am Ende ausgeht. Wenn wir mal nicht kontrollieren können, was passiert. Mut zu akzeptieren, wer man ist und wie man ist. Mut zu dem zu stehen, was man denkt, was man will, wer man ist und ja, auch, was man fühlt. Und neben all den Emotionen, die uns zu dem/der machen, der/die wir sind, dürfen wir die Liebe nicht vergessen. Ja, ich weiß, manch einer wird jetzt mit den Augen rollen oder mich als kitschig oder hoffnungslosen Romantiker hinstellen, doch Liebe ist die Kraft, die uns antreibt. In allen Dingen. Und das ist auch etwas, dass mir gerade in dem ganzen letzten Jahr so unglaublich bewusst geworden ist und sich auch in dem Buch widerspiegelt: Jede Emotion, die wir fühlen, fühlen wir aus Liebe heraus. Nicht nur die Guten, auch die weniger Schönen. Denn ich trauere nur wirklich aufrichtig um jemanden oder etwas, wenn ich in Wahrheit starke Gefühle hege. Ich empfinde nur Schmerz, wenn mir der Grund für diesen nicht gleichgültig ist. Selbst Wut resultiert aus Liebe und wenn sie nur dazu dient, dass man sich selbst schützt, um die Liebe zu einem selbst nicht zu verlieren. Ich habe lange genug diese Art von Emotionen unterdrückt und geleugnet.  Sie waren für mich immer etwas so Schwaches, eben etwas, das dich verletzlich macht, aber eigentlich sind sie alles was wir haben. Alles, was wirklich wichtig ist. Denn was bleibt, wenn wir unsere Emotionen nicht zulassen?

„Vertrauen erfordert Mut. Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben oder Angst zu empfinden. Es bedeutet zu handeln, obwohl Angst gegenwärtig ist. Wir leben in einer Zeit, in der wir den Mut verloren haben. Mut, aufzustehen und zu sagen: >Ich habe Angst. Ich weiß nicht, was ich tun soll.< Aber aufzustehen, die Angst auszusprechen, wird dafür sorgen, dass alle Wände fallen. Es wird dafür sorgen, dass Verbindung, Verständnis und Respekt wieder möglich sind. Die Zukunft ist unbekannt, und wir können nie alles kontrollieren. Du könntest in vielen Jahren oder schon morgen sterben. Du kannst >Ich liebe dich< sagen und nicht zurückgeliebt werden. Du kannst einen Fremden in dein Haus lassen und nicht gut mit ihm auskommen. Du kannst die Stimme ergreifen und nicht gehört werden. Es wird immer die Möglichkeit eines Risikos geben. Doch die Belohnung für deinen Mut – sie könnte noch viel größer sein. >Ich liebe dich< könnte Türen für ein Leben voller Liebe öffnen. Ein Fremder im Haus könnte ein neues Familienmitglied bedeuten. Die Stimme zu ergreifen könnte bedeuten, die Welt zu verändern.“ (Alizadeh, 2019, S. 289/290)

Deswegen bin ich auch diesen Schritt mit dem Blog gegangen. Vielleicht hat sich der ein oder andere bereits gefragt, wie ich es denn verantworten kann auf einem öffentlichen Blog, über einen öffentlichen Insta-Account über so intime Dinge, Gedanken, Erlebnisse zu schreiben? Ja, wie kann ich das? Weil ich finde, dass wir mehr vertrauen sollten. Dass Emotionen nichts sind, für das wir uns schämen sollten. Emotionen sind etwas, das wir zeigen sollten, denn wir fühlen eine gewaltige Palette an Dingen, egal, ob wir das wollen oder nicht. Und ich bin ein emotionaler Mensch, der sich eben gerne durch Kreativität ausdrückt. Wieso das also nicht teilen? Vielleicht hilft es ja jemandem. Vielleicht findet sich jemand darin wieder, findet Trost in dem Gewissen, dass nicht nur sie oder er so fühlt, so denkt?

Und in den letzten Monaten des letzten Jahres habe ich mich so oft unglaublich schwach und verletzlich gefühlt wie noch nie zuvor in meinem Leben und das ist okay. Denn all das hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, seine Emotionen wirklich zu fühlen, sie zu spüren in jeder Zelle seines Körpers. Es zuzulassen und dann loszulassen. Platz zu machen für Neues, für Schönes. Und meine Emotionen, nicht nur die Freude, das Glück oder Liebe, auch die Trauer, der Schmerz und diese innere Zerrissenheit, die ich oft spüre, treiben meine Kreativität aus mir heraus. Durch all diese Gefühle bin ich so inspiriert wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich nutze sie geradezu dafür, benutze das Gefühl, das mich ausfüllt, um daraus etwas zu schaffen. Und irgendwie fühlt sich das wunderschön an.

„Wenn du an einer Klippe hängst, fällt dir das Loslassen oder das Festhalten schwerer?“ (Alizadeh, 2019, S. 171)

Mut und Liebe. Mut heißt für mich, Dinge trotz Ungewissheit und trotz Angst zu tun, die Comfort Zone immer wieder aufs Neue zu verlassen und Liebe ist so viel mehr, als es manchmal den Anschein macht. Vertrauen ist das stärkste Zeichen für Mut. Und Ehrlichkeit, auch Ehrlichkeit zu uns selbst ist manchmal der schmerzhaftteste und fairste Weg. Starkes Weiches Herz. Was für eine schöne Umschreibung dafür.

„Sometimes happy, sometimes sad, wie ein Sprichwort besagt.“ (Alizadeh, 2019, S. 276)

Quelle für Zitate: Alizadeh, Madeleine. Starkes Weiches Herz, Wie Mut und Liebe unsere Welt verändern können. Ullstein, Berlin (2019)

(2) Kommentare

  1. Nico Ahrens sagt:

    Ich glaube, das Problem liegt in unserer allgemeinen Konzeption von Gefühlen generell. Es liegt ein unsichtbarer Schleier, gewoben von früheren Generation, mit moralischen Wunschdenken und tiefgreifenden Fehleinschätzungen über das Menschen-Wesen als solches, über unserer Wahrnehmung.

    Dementsprechend merkt man, wenn und falls man beginnt jedwedige mit der Zeit erlernten Vorurteile über sich selbst zu vergessen, dass der dadurch entstehende Raum platz bietet für Erlebnisse die bisher, aufgrund genannter Misskonzeptionen, nicht stattfinden konnten. Das Problem dieser Selbstverstümmelung des Einzelnen, hinsichtlich seines eigenen Wesens, basiert auf der Ängstlichkeit der Vielen und wird als „Höflichkeit“ sogar noch gelobt!

    Ängstlichkeit in der Hinsicht, als dass jeder der einen tiefen Blick in sich selbst geworfen hat, frei von dem vermeintlichem „Wissen“ anderer, bestätigen muss, dass die menschlichen Abgründe tief, die Gefühlswelt chaotisch und das Verhalten in seinem natürlichen, unberührten Kern, Willkürlich ist. Diese unkontrollierbare, unversehbare Unberechenbarkeit scheint die allgemeine Essenz des Menschenwesen zu sein.

    Menschen wollen im Allgemeinen Sicherheit und Vorhersehbarkeit, deshalb haben sie über die Jahrhunderte die Moral erfunden. Jedoch ist es diese Moral, welche beläufig erwähnt kein Gründgerüst hat (weil sie letztendlich nicht bewiesen werden kann), welche dafür sorgt, dass der Mensch das einzige Tier ist, welches sich unnatürlich verhält.

    Verhaltensregeln, schöne Kleider und moralische Diskussionen verändern nicht was wir letztendlich sind, Tiere. Und wie jedes andere Lebewesen sind wir unschuldig hinsichtlich unserer inneren Reaktionen bezüglich der Außenwelt, denn jede Reaktion bringt eine Notwendigkeit mit sich basierend auf dem individuellen Grad der Wahrnehmung des Einzelnen.

    Um das Alles nicht nur analytisch, sondern auch aus einer künstlerischen Perspektive zu betrachten folgendes:

    Es gibt in dem Sinne kein Leiden an Gefühlen, das Leid welches die Menschen beschreiben, kommt von ihrer eigenen Interpretation der Gefühle.

    Trauer, Wut oder ähnliche Gefühle sind an sich undschuldige Dinge, erst die Interpretation und Identifkation bzw. der fehlende Abstand zu seinen eigenen Gefühlen sind es, welche Leid verursachen.

    Dementsprechend leide ich nicht an besagten Gefühlen, viel eher erfreue ich mich an ihnen, dadurch dass ich ihnen freien Raum gebe in mir zu existieren.

    Es ist die Tiefe der empfunden Emotionen, welche den Wert eines Künstlers ausmachen.

    Dementsprechend fragt ein Künstler nicht nach Mit-leid, weil er in erster Linie nicht leidet. Grade Tiefgreifende Emotionen sollten, anders als wir es tuen, gefeiert und zelebriert werden. Das Drama, welches das Leben mit sich bringt, sollte gefühlt und nicht rationalisiert werden.

    Aus dieser Perspektive entsteht auch meine Musik, eigentlich bin nicht ich es, der die Texte schreibt, sondern meine Empfindungen, Eindrücke, Erfahrungen, ich widerspreche ihnen einfach nicht. Es gibt für mich kein Einwand hinsichtlich meiner Gefühle. Ich frage nicht Wieso ? Warum ? Woher ? Wie lang ?

    Ebenfalls versuche ich nicht sie zu ändern, weil das, was in mir vor sich geht, von äußerster Schönheit ist und jedes eingreifen würde dafür sorgen, dass es zusammen bricht.

    Als Künstler bin ich letztendlich nur der Vermittler, zwischen meinen inneren Empfindungen und der Außenwelt.

    Zum Thema Mut muss ich dieses mal widersprechen, ich habe dazu eine andere Meinung.

    Da ich in meinem Text bereits die vom Menschen angewandten Analysetechniken bezüglich ihres eigenen Wesens als solches kritisiert habe, möchte ich dazu noch anfügen, dass nicht nur negative , sondern auch positive Vorurteile, eben genau das sind und zwar, Vorurteile.

    Ich halte Mut nicht für eine „gute“ Sache insofern, als dass Mut immer die Existenz von Angst voraussetzt. Ein mutiger Mensch muss ein Mensch sein, der nicht versteht warum und wovor er Angst hat.
    Dieses Unverständniss des Einzelnen über sein eigenes Wesen, welches gemeinhin als unzulängliches Bewusstsein bzw. Verständniss über sich selbst zu deuten ist, muss um nicht ganz vom Leben abgeschottet zu sein, mit Mut ausgeglichen werden.

    Auch hier jedoch, ist es keine Frage von gut und böse, vielmehr wieder eine Frage der Notwendigkeit. Denn man ist nur mutig, wenn man mutig sein muss, nicht wenn man mutig sein will.

    Das Konzept von Mut verschwindet, sobald die Angst verschwindet und Angst verschwindet mit wachsendem Verständniss über sich selbst und damit unweigerlich dem dem Verständniss über das Leben als solches.

    Mein Punkt ist also folgender, diese Dinge sollten nicht nach ihrem vermeintlichen Nutzen für uns,
    welchen wir fälschlicher Weise daraus zu erkennen meinen wie angenehm oder unangenehm uns eine bestimmte Sache zu sein scheint, sondern nach ihrer hinlänglichen Notwendigkeit unter Betrachtung der jeweiligen Ausgangssituation bewertet werden. Was jedoch vorraussetzt, dass man sich selbst, wertfrei und mit unschuldigen Augen, bewusst wird wer (oder was) man eigentlich ist.

    1. Kai sagt:

      Ich muss hier eine Antwort auf Nico Ahrens Text schreiben, da ich seine Gedanken nicht nur für fragwürdig, sondern auch für Gefährlich halte.

      Der Kommentar ist eine Lobpreisung des Instinkts und eine Kritik an der Moral. Der Instinkt wird gelobt, als das natürliche und die Moral wird dementsprechend kritisiert, weil sie auf nichts basiert und auf nichts gegründet wurde. Diese These, ist einfach falsch. Moral ist etwas, was in unseren Genen verankert ist, es ist nicht nur eine Wunschkonzeption, die eine Herde Schafe aus uns machen soll. Sie ist nicht erfunden, sie ist sogar Teil des Instinkts und somit genauso natürlich.

      Auch der Punkt, ,Moral kann kein Grundgerüst sein, weil sie nicht bewiesen werden kann, ist zumindest fragwürdig, weil man nichts beweisen kann. Das gilt für Moral, wie für physikalische Gesetze. Alles wird durch Erfahrung bestätigt und es gibt nicht den großen allgemeingültigen Beweis.

      Diese Betonung auf eine Unnätürlichkeit des Menschen ist mir zuwider. Moral ist nicht nur versklavend, sie ist auch freiheitsgebend. Wenn der einzelne keine Grenze kennt und sagt, allen Wert den ich habe, kann ich nur aus mir erschaffen, dann kann es ganz schnell dazu führen, dass alles andere als nichtig und wertlos betrachtet wird und somit die Freiheit anderer Menschen mit Füßen getreten wird. (Das ist übrigens auch das praktische Problem von Nietzsches Übermenschen) Durch eine Grenze der Freiheit, gibt es garantierte Freiheit erst.

      Nun kommen wir zum Teil der „künstlerischen Perspektive“.

      Leid existiert nur als Interpretation von Gefühlen ist die These. Das ist an den Haaren herbeigezoge, denn Gefühle sind schon selbst Interpretationen eines Reizes. Leid ist genauso unschuldig, wie die Gefühle selbst, denn es hängt von der Person ab, wann und wie Gefühle oder Leid erscheinen und diese ist zum einen Teil angeboren und zum anderen Teil durch Erfahrung entstanden. Gefühlswelt kann man nicht getrennt von der Vernunftswelt betrachten, denn der Mensch interpretiert Die Welt mit beiden und somit sind beide gleichermaßen Werkzeuge, Die Welt zu verstehen.

      Der Schlussatz plädiert für eine wertfrei Anschauung seiner selbst. Diese gibt es nicht. Spätestens seit Kant weiß man, dass man nie das Ding an sich verstehen kann. Wertfreie Betrachtungen seiner Selbst sind ein Mythos. Wir sind Menschen und interpretieren alles unter dem Aspekt der eigenen, menschlichen Person und daran lässt sich nichts rütteln.

      Noch zwei Sätze warum ich die Gedanken für gefährlich halte: Indem alle Moral verneint wird und das individuelle Glücksgefühl über alles gestellt wird, verkommt die ganze Rede zu einem egoistischen Hedonismus. Es geht nur noch darum, seine eigene Person grenzenlos ausleben zu dürfen und so kann sich der einzelne über andere Erheben und in dem Verneinen aller Grenzen, die als Versklavung der Individualität wahrgenommen wurden, erhebt sich der Mensch über Menschen und wird nun selbst zum, Versklavenden.

      Absolutismus, der auf vermeintliche Wahrheiten sich gründet, der rutscht auch immer in absolute Tatsachen ab.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert