Was heißt es, dieses Streben nach Glück? Was ist es genau? Es lauert in jedem von uns, tief verborgen in unseren Herzen, vergraben unter Erfahrungen und Erinnerungen und Pflichten und Verantwortung. Das Streben nach Glück. Oft ist es ganz leise, ganz ruhig und zahm. Dann brüllt es herum und speit Feuer und tobt ganz wild in dir. Und du folgst oder hörst weg.
Ich frage mich oft, bin ich glücklich? Wahrhaftig? Ist es das oder kommt da noch mehr? Denn es ist ein Auf und Ab. Ein Hin und Her. Ein Zyklus, ein ewiges Wechselbad von himmelhochjauchzend zu grüblerisch. Ein Schwanken in mir. Ein Schwanken um mich. Als stünde ich auf zitternden Holzplanken im Innern eines Schiffes, wankend, Gleichgewicht suchend, stolpernd. Stolpernd durchs Leben. Suchend nach Balance zwischen Hoch und tief, zwischen Glück und etwas Schwererem. Es war schon immer so, es wird immer so sein. Geboren im Innern eines Schiffbauchs, aufgewachsen zwischen tosenden Wellen, das Meer im Herzen, Salz auf der Haut und die wankenden Planken unter mir. Und was ist es nun, dieses Glück? Suchen wir nicht alle danach? Streben wir nicht nach diesem Gefühl, ohne wirklich zu wissen, was es ist? Es braucht ein Gleichgewicht, Höhe braucht Tiefe. Wer am höchsten fliegt, kann am tiefsten fallen. Denn Hochmut kommt vor dem Fall, oder nicht? Doch Fliegen, ganz weit oben, über den Wolken ist viel zu schön, als, dass man das Risiko nicht eingehen sollte. Adrenalinjunkie könnte man sagen, denn ein klein bisschen Schmerz sagt uns, dass wir leben, richtig? Dieses Kribbeln in uns zeigt uns, dass wir hier sind, richtig? Diese Leichtigkeit in unserem Körper fühlt sich an wie Schweben, richtig? Schwerelos, wie Herumtreiben im Wasser, ganz leicht, ohne Kraft, ohne Oben und Unten.
Und ich liege wach, starre an die Decke, drehe den Kopf, schaue ins Leere, Gedankenkarussell. Denken von Gedanken, deren zerdenken nichts bringt. Es dreht sich, es schwankt. Von Euphorie zu Trauer, von Glück zu Schmerz, von Liebe und Leben zu Melancholie und diesem Moment in meinem Bett, wach und müde zugleich.
Ich drehe den Kopf und sehe diese Karte, angepinnt an meine Wand, umgeben von Fotos, deren Gesichter ich gar nicht mehr wahrnehme, eins geworden mit dem Untergrund, zu gewohnt für meine Augen, die auf Neues warten. Die gieren nach Veränderung und neuen Erinnerungen, die sich einbrennen und niemals gehen wollen. Listen to your Heart steht auf dieser Karte, rot wie Blut auf schwarz-weißem Untergrund. Einer dieser Standard Klischee Instagram Sprüche, die 14-jährige Mädchen in ihrem Status bei WhatsApp oder unter einem neuen Insta Bild posten. Bauch oder Kopf? Herz oder Kopf? Er hat viele Konkurrenten der Verstand, viele Widersacher und Rebellen. Viele, die es ihm schwer machen. Vor allem in mir, Herzmensch. Strebst du nach Glück? Wo suchst du es? In diesem einen Menschen, der dich immer zum Lachen bringt? Suchst du es zwischen den Zeilen eines Chatverlaufs oder in den Bildern eines Feed? Suchst du es in deinen Erinnerungen oder Vorstellungen für die Zukunft? In deinen Plänen und Vorhaben, in den Was-wäre-wenns und unter den offenen Punkten deiner Bucket List? Versteckt es sich auf deinem Konto, verschleiert in Zahlen und Noten und Wörtern und Papier? Spürst du es in den Stunden deiner Arbeit, dort, wo du die meiste Zeit verbringst, Tag ein Tag aus, Leistung erbringend, Anerkennung verdienend? Wo ist es, dein Glück?
Was ist, wenn all das wegbricht? Wer bringt dich zum Lachen, wenn dieser eine Mensch fehlt? Was passiert, wenn deine Pläne und Vorhaben durchkreuzt, wenn der letzte Punkt auf deiner Bucket oder To Do List bereits abgehakt ist? Was machst du, wenn du nach 20 Jahren aufwachst und merkst, wie wenig du diesen Job magst, der dich jeden Tag begleitet? Wo ist dann dein Glück?
Denken von Gedanken, deren zerdenken nichts bringt. Wir streben nach Glück, greifen höher, immer höher. Strecken uns nach diesem roten saftigen Apfel hoch oben an dem Baum. Wir stellen uns auf Zehenspitzen, spüren das Ziehen in unseren Waden, spüren das Wackeln und Schwanken wie den Wind in den Blättern des Baumes. Wir greifen höher und höher, wollen weiter und schneller, immer mehr, immer besser, immer so und niemals anders. Niemals aufhören, niemals ohne das. Niemals unglücklich.
Merkwürdig, dass wir meistens genau wissen, wenn wir unglücklich sind, aber nicht wann wir wirklich Glück in uns spüren. Das Glück es lauert in jedem von uns, tief verborgen in unseren Herzen, vergraben unter Erfahrungen und Erinnerungen und Pflichten und Verantwortung. Das Glück kommt selten allein. Es kommt mit dem Lachen und der Freude, mit Euphorie und Spaß, aber Hand in Hand mit dem Grübeln und der Trauer, mit Schmerz und Verzweiflung. Geschwister, die man nicht trennen kann. Siamesische Zwillinge, Drillinge, Vierlinge, Fünflinge, Geschwister, die man nicht zählen kann, angewachsen an den jeweils anderen, verknotet mit dessen Armen, Herz an Herz, Kopf an Kopf. Sie kommen niemals allein und sie gehen niemals allein. Wir spüren Glück, weil wir Trauer spüren, denn ohne das eine würden wir das andere nicht kennen.
Und jedes Herz weiß, dass Glück nicht in Zahlen oder Bildern, Posts oder Likes, nicht in abgehakten Punkten deiner Bucket oder To Do List und Plänen für die Zukunft oder Erinnerungen aus der Vergangenheit zu finden ist. Jedes Herz weiß, dass Glück nicht greifbar, nicht abrufbar ist, nicht auffindbar, wenn man es sucht, nicht da, wenn man es am dringendsten braucht. Glück ist dieser eine Bruder, der immer zu spät kommt, der macht, was er will und wenn er dich überrascht, dann mit voller Breitseite und mit Freude und Spaß im Gepäck. Jedes Herz weiß, dass Glück in dir ganz allein ist, dass es aus dir und von dir selbst kommt. Im Jetzt, im hier, in den einfachen Dingen, die du liebst. Das Glück ist nicht dieser eine rote saftige Apfel hoch oben am Baum, an den alle anderen nicht herankommen. Glück sind die Blätter und der Stamm, die raue Rinde unter deinen Fingerspitzen und die Blüten an den Zweigen. Glück ist die Sonne zwischen den Blättern und das Gras unter deinen Füßen. Glück muss nicht oben sein, nicht so hoch, dass es wehtut, wenn du danach greifst. Es kann auch zu deinen Füßen liegen, es kann vor dir sein, ohne, dass du es siehst, blind geworden zwischen all den Pflichten, Aufgaben, Zielen und Verantwortungen dieser Welt. Jedes Herz weiß das. Jedes Herz kennt die Gesetze des Strebens nach Glück, nur der Verstand, der Kopf ist es, der lernen muss. Geschaffen, um Wissen zu speichern, Neues zu dokumentieren, Informationen zu sammeln, auszusortieren, umzustrukturieren, zu organisieren. Das Herz aber es fühlt, Hand in Hand mit den Geschwistern, die niemals allein kommen. Herzmensch.
Denken von Gedanken, deren zerdenken nichts bringt, weil mein Kopf keine Antworten kennt, nie gelernt, nie erlebt hat. Früher wurde ich Streber genannt, in der Grundschule. Strebsam ist etwas Gutes, sagte meine Mom immer. Streben nach etwas, das Größer ist als du, sowas wie Glück. Und ich frage mich heute, sollten wir nicht alle Streber sein?
„Kommt da noch mehr?“ Eine Frage, die einen in sein eigenes Unglück katapultiert. Glück basiert nicht auf immer mehr (wie du so schön geschrieben hast im letzten Abschnitt). Die Geschichte des Ikarus‘ sollte uns Beispiel sein und sie zeigt, dass es sich dann doch nicht lohnt immer höher zu fliegen, denn wer immer höher fliegt, der erhöht nicht nur die Sturzgefahr, viel mehr kann er nur stürzen, weil er nie die Grenze erreichen wird. Nach dem Erreichen des höchsten Gipfels hört er immer wieder „Kommt da noch mehr?“ und er kann nicht glücklich sein. So strebt er immer nach höheren Gipfeln und wird er sie einmal nicht erreichen, so wird ihm das sein Unglück bringen.
Du schreibst von den Konkurrenten des Verstandes, sogar von den Rebellen und als Gegensatz wird der Herzmensch aufgestellt. Findest du wirklich, dass sich der Verstand und das Gefühl (Herz) ausschließen? Das der Verstand das Gefühl unterdrückt und das letztere somit in die Rebellion geht? Ich sehe in beiden Sachen viel mehr ein sich-bedingen. Kann das Gefühl nicht erst durch den Verstand erkannt werden und kann der Verstand nicht erst durch das Gefühl interpretieren, ja eigentlich erst wirklich sehen? Es sind keine Gegensätze, auch wenn eine Seite, die andere Seite verdüstern kann. Wer nur seinen Gefühl vertraut, ist ein blinder Trottel und wer nur seinem Verstand verrtraut, ist es auch. Glück braucht beides und dazu braucht es auch Glück. Bricht alles durch ein Unglück weg, so hilft manchmal auch das stärkste und glücklichste Gemüt nichts. Vielleicht müssen wir erkennen, dass wir nicht nur durch uns selbst glücklich werden können. Vielleicht können wir das Glückliche, das Göttliche in uns finden, aber das kann ein Mensch nicht für immer aushalten. Er muss auch in Anderen sein Glück finden und das ist das Menschliche.