Der letzte Sommer 2

Wir durchqueren das stillgelegte Gleisbett, das einen grünen Streifen zwischen unserer Kleinstadt und dem heutigen Zugbett bildet. Durch ein Loch im Maschendrahtzaun gelangen wir auf eine ruhige Straße, umsäumt von dicken Eichen. Mein abgewetztes Fahrrad ächzt unter meinen Füßen, die sich in die Pedale stemmen. Es fühlt sich gut an, wie sich meine Muskeln in den Beinen anspannen, wie meine Unterarme arbeiten, weil sich meine Hände um den Lenker schrauben. Wärme brandet durch meinen Körper und konkurriert mit der Hitze auf meiner Haut. Bobby fährt hinter mir, ich höre sein Atmen und das Klackern seines Rads.
„Was ist das mit dir und dieser Sammy?“, schreit er gegen den Wind an und ich schaue kurz über die Schulter zurück zu ihm.
„Wir sind nicht zusammen, falls du das meinst.“
„Ja, genau das meinte ich. Aber ihr hängt ab, oder wie?“ Mit wenigen Tritten hat er zu mir aufgeschlossen und ordnet sich neben mich ein.
„Ja, manchmal.“ Mit lautem Hupen rast ein Auto an Bobby vorbei und er malt einen Schlenker in meine Richtung, wir taumeln beide mit unseren Rädern und landen fast im Straßengraben. Im letzten Moment finden wir unser Gleichgewicht wieder.
„Was ein Arsch.“, murmelt Bobby und richtet seine Cap. Den restlichen Weg legen wir in Stille zurück.

Kühle Luft schlägt uns entgegen als wir durch die automatischen Schiebetüren des Aldi schlendern. Wie an einem Dienstagvormittag nicht anders zu erwarten, befinden sich wenige Menschen in dem Supermarkt. Bobby bleibt vor dem Stand mit Backwaren stehen, seine Augen weiten sich.
„Boah, die haben diese Minipizzen! Spitze!“, ruft er wie ein euphorisiertes Kind, was seine Lieblingssüßigkeiten geschenkt bekommt. Ich schmunzle nur, während er sich eine Papiertüte mit mehreren Pizzen befüllt, ein seliges Grinsen im Gesicht. Meine Augen wandern von ganz allein über die Regalreihen, ich ertappe mich selbst dabei, wie ich sogar auf die Zehenspitzen gehe, um nach Sammy Ausschau zu halten. Normalerweise ist sie immer von 7 bis 12 hier. Ich werfe einen Blick auf mein Handy. 11:03.
„Willst du auch was, Bro?“, fragt mich Bobby und in meine Wangen schießt unwillkürlich die Röte, so als hätte er mich bei einer unerlaubten Tat erwischt.
„Äh, ja, nimm für mich auch einfach ne Minipizza mit.“ Bobbys Augenbrauen schnellen nach oben. Er grinst spöttisch. „Ist sie nicht da?“
„Ich weiß nicht. Ist ja auch egal. Hier eine von denen.“ Ich angle mit der Zange noch eine Minipizza Margaritha aus dem Regalfach und lasse sie in eine Papiertüte fallen.
„Das muss dir doch nicht unangenehm sein.“ Er boxt leicht gegen meine Schulter.
„Mich würde nur mal interessieren, was ihr dann immer so treibt, wenn ihr miteinander ´abhängt´.“ Belustigt malt er Gänsefüßchen in die Luft.
„Nicht was du denkst, auf jeden Fall.“ Ich mache eine wegwerfende Geste und setze mich in Bewegung. Wenn er wüsste, was meine Treffen mit Sam eigentlich auf sich haben, würde er nicht mehr solche Sprüche reißen. Bobby folgt mir und sammelt auf dem Weg zur Kasse noch Kekse, eine neue Flasche Cola und eine Tüte Paprikachips ein.
„Die perfekte Ausstattung für einen gelungenen Ferientag.“, kommentiert er seine Auswahl zufrieden. Als wir in den Gang mit den Kassen biegen, fällt sofort ein schwarzer Lockenkopf in mein Sichtfeld. Sam. Bobby schmeißt alles auf das Kassenband und rammt mir seinen Ellenbogen in die Seite.
„Siehste, ist ja doch da, Romeo.“ Ich nicke nur.
„Hey, Finn. Was machst du denn hier?“ Sams blaue Augen verhaken sich in meinen. Sie ist die einzige, die mich bei meinem Vornamen nennt.
„Wir wollten nur ein paar Snacks holen, haben heut noch nichts gegessen.“ Routiniert schiebt sie die einzelnen Sachen über den Scanner.
„Und was habt ihr noch so vor?“ Ich zucke mit den Schultern.
„Wir haben keinen Plan. So wie jeden Sommer.“ Ich spüre, wie mir ein einzelner Schweißtropfen den Rücken hinunterrinnt und von meinem Hosenbund aufgesaugt wird.
„Und du?“, füge ich hinzu. Sie zählt die Pizzen in den Tüten und tippt die Anzahl in den Bildschirm ein. „Ich fahre mit ein paar Leuten zu einem See, der Onkel einer Freundin von mir hat da ein Boot liegen.“ „Mega. Wie viele passen da rauf?“, schaltet sich Bobby ein, der bis jetzt unbeteiligt am Rand stand und die Cola, Chips und Kekse in seinen Armen hält wie ein Baby. Sam mustert ihn kurz.
„Ich weiß nicht, vielleicht so sechs. Wollt ihr mitkommen? Wir sind erst zu dritt.“ Wieder sprudelt die Röte unbeabsichtigt in meine Wangen. Ich hoffe, dass mein Kopf durch die Hitze so rot ist, dass es nicht weiter auffällt. „Das klingt super! Richtig gerne!“, platzt es aus Bobby heraus, während ich meine EC-Karte auf das Kartenlesergerät halte. Sam schaut mich fragend an. „Und hast du auch Lust?“
„Ja, sicher. Wann sollen wir wo sein?“
„Ich denke mal 13 Uhr an der Tankstelle vom Jannssen. Wir sammeln euch dann dort ein. Mias großer Bruder fährt uns.“ Ein breites Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, während ich meine EC-Karte zurück in mein Portemonnaie schiebe und es in meine Hosentasche stecke.
„Ok, dann sehen wir uns später!“
„Ja, bis später. Und denkt an Badehosen!“, ruft sie uns noch nach. Mit einem leisen Surren der Automatiktüren werden wir in die Savannenhitze unserer Kleinstadt entlassen.

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