Der letzte Sommer 1

Der Rauch von Bobbys Zigarette überschlägt sich in der Luft und löst sich dann abrupt auf. Die Cap tief ins Gesicht gezogen, sitzt er mir gegenüber auf einer zerfallenen Mauer und zieht den Qualm tief in seine Lungen. Die Sonne brennt auf meinem Kopf, ein Schweißtropfen löst sich aus meinem Haaransatz und läuft mir den Nacken hinab in den Kragen meines Shirts.
„Is dein Alter wieder da?“, Bobbys blaue Augen fixieren mich. Ich nicke stumm und beobachte weiter die Ameisen neben meiner Hand. Sie folgen alle einer unsichtbaren Schnur, wie aufgereihte Perlen auf einer Kette. Manche von ihnen tragen winzige Brocken Essbares zwischen ihren Zangen.
„Wusstest du, dass Ameisen das Hundertfache ihres eigenen Körpergewichts tragen können?“, frage ich unvermittelt, um das Thema zu wechseln, den Blick weiter auf den kleinen Insekten. Bobby schnaubt.
„Ganz schön stark, ey. Apropos kommst du mal wieder mit pumpen?“
Die Zigarettenspitze glüht kurz auf, als er ein letztes Mal daran zieht, dann drückt er sie auf der Mauer aus.
Wir sitzen an unserem Lieblingsplatz unter einem Dach aus Blättern auf den zerfallenen Mauern einer Hütte. Ein paar Meter weiter verlaufen alte Gleise halbbedeckt von Moos und Gräsern. Die Sonne drückt erbarmungslos auf diesen Streifen Erde nieder. Ihre Hitze staut sich auf der freien Fläche, nur hier im Schatten der Bäume, deren Blattwerk durch einzelne Laserstrahlen der Sonne durchbrochen werden, ist es aushaltbar. Ich zucke mit den Schultern. „Kein Bock, oder was?“, hakt Bobby nach.
Er öffnet zischend die Colaflasche neben sich und kippt die Hälfte in sich hinein. Dann wirft er mir die Flasche zu.
„Weiß nicht. Ich bin doch da gar nicht angemeldet.“, sage ich, bevor ich mir die Flasche an die Lippen setze und die zuckrige Flüssigkeit tief in mich hineinsauge. Ein süßer klebriger Film benetzt meine Lippen als ich den Deckel wieder zudrehe.
„Na egal, wir kriegen dich schon da rein. Daran solls nicht scheitern.“
Ich grunze zustimmend. Bobby legt den Kopf in den Nacken. Seine Nike Air Force baumeln an der baufälligen Mauer entlang. Wir schweigen.
Ich rutsche ein Stück nach rechts, damit mir die Sonne nicht mehr ins Gesicht scheint. Im Gebüsch raschelt ein Vogel, es klingt so, als würde ein Riese durch das Unterholz waten. Es ist Mitte Juni, die Ferien haben begonnen und bereits jetzt befinden wir uns in dem widerlichen Sog der Langeweile. Wir stecken in ihrem Sumpf, strampeln noch mühsam mit den Beinen, versuchen die leere Zeit zu füllen und versinken trotzdem Stück für Stück in ihrem heißen Sand, ein unzufriedenes Gefühl im Bauch. Bobby ist mein bester Freund seit seine Familie in meine Straße gezogen ist. Fünf Jahre ist das her und fünf Sommer haben wir hier schon rumgehangen und die Zeit totgeschlagen. Dieses Jahr ist es wie immer – nur, dass es doch anders ist, schließlich ist es unser letztes Jahr Schule und unser letzter gemeinsamer Sommer. Diese Tatsache wabert zwischen uns wie Bobbys Zigarettenrauch, sie windet sich, reizt die Atemwege und löst sich trotzdem immer wieder von selbst auf. Plötzlich springt Bobby mit einem Satz von der Mauer.
„Lass uns mal was machen.“
„Und was?“
Bobby verdreht die Augen. „Keine Ahnung, Hauptsache irgendwas. Dieses Rumsitzen nervt.“ Ich lache und werfe einen kleinen Ast von der Mauer.
„Lass doch zu Aldi, ich hab Hunger.“ Ich gleite ebenfalls zu Boden und gehe zu meinem Rad, das auf der anderen Seite der Mauer lehnt.
„Du willst doch nur Sammy sehen.“, zieht mich Bobby auf und schwingt sich auf sein Mountainbike. Ich rolle bloß mit den Augen und fahre an ihm vorbei.

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