tanzende Blätter

Mein Lieblingsgeräusch ist das der tanzenden Blätter im Wind.
Ich liege in meinem Zimmer auf der Matratze, nur in Unterwäsche und einem übergroßen Shirt. Es ist schwülwarm, doch mir ist nicht heiß, weil ich immer noch die Kühle des Wassers von der Dusche auf der Haut spüre. Ich lese. Treibe zwischen den Wörtern auf den Seiten vor mir dahin, sauge sie auf und die Gefühle, die sie vermitteln. Ich tauche ein. Wie im Halbschlaf gleitet mein Blick über den Rand des Buchs, tastet die fliehenden Sonnenstrahlen auf dem nackten Boden ab. Die Vorhänge sind genauso weit offen wie die Balkontür. Tanzende Blätter vor den hohen Fenstern, tanzende Sonnenstrahlen auf meinen Buchseiten, an den Wänden, auf dem Boden. Streifen reinen Lichts, die in das Zimmer huschen. Ich liebe dieses Rauschen der Bäume, es erinnert mich ans Meer. Es schenkt mir Ruhe, denn sonst ist es zu laut -entweder in mir oder um mich-um das Flüstern der Blätter zu verstehen. Jetzt dringen nur dieses stetige gemütliche Rauschen und entferntes Lachen von dem Restaurant an der Straße schräg gegenüber durch die offene Tür. Der Himmel zwinkert stahlblau zwischen dem grünen Teppich vor meinen Fenstern hindurch, ganz weit oben über den Dächern der Häuser zeichnen sich bereits die ersten Schlieren der Dämmerung ab. Ich liebe dieses Licht.

Es ist dunkel und ich sitze auf meinem Balkon. Schwummriges oranges Licht der Laternen quillt an meinen Augenwinkeln nach oben. In der Erdgeschosswohnung in dem Haus neben mir sitzen Menschen beisammen und hören Musik – lachen, reden, schweigen.
Die Blätter tanzen immer noch ihre Choreografie, die der Wind geschrieben hat. Um mich ist es dunkel, der sichelförmige Mond steht hoch, schaut auf mich nieder, so scheint es.
Ich spüre in mir so ein eigenartiges Gefühl. Ein dumpfer tiefer Schmerz, der in meiner Brust sitzt, eine Enge, die sich trotzdem irgendwie weit anfühlt. Die Schönheit des Moments klammert sich an mein Herz, und doch ist da dieser leiser Schmerz, diese Melancholie, ohne die das Schöne gerade gar nicht so schön wäre. Meine Kehle ist eng, meine Augen brennen. Ich lausche den vorbeigehenden Menschen, Wortfetzen, die zu mir hochsteigen wie warme Luft. Wäre ich nicht in der Stadt, würde ich die Sterne bestimmt besser sehen können.
Ich kann nicht sagen, woran ich denke. Ich denke an alles und nichts gleichzeitig und wahrscheinlich ist es in diesem Moment viel mehr ein Fühlen als ein Denken. Ich denke an den letzten Abend, an die Menschen um mich und die Schwärze der Nacht. An dieses schwindelige Gefühl, ans Lachen und Tanzen, klebrige Haut und nasse Haare, an Regen im Gesicht und Schmutz an den Händen. Daran, wie mich die Schwere trotzdem anzieht und sie mich immer noch von anderen zu trennen scheint.
Glaube ich, fühle ich, weiß ich nicht.
Sprachlos sein, so fühlt es sich oft an, wenn ich zu begreifen versuche, was uns gerade umtreibt. Es tut tief in mir weh, zu sehen, wie sie leiden, wie der Druck immer wiederkommt und junge gute liebe Menschen nichts mehr fühlen.
Ich bin sprachlos, kann nicht in Worte fassen, was mich bewegt, weil da zu viel ist, das an mir reißt. Vielleicht habe ich aufgegeben, bevor ich angefangen habe. Vielleicht sehe ich zu viel, um wegzuschauen. Vielleicht spüre ich die Risse in den anderen um mich herum und in der Welt da draußen zu nah, zu stark. Ich sitze im Dunkeln und finde keine Worte, obwohl Worte meine Sprache sind.
Ich habe Angst, wenn ich an ein später denke.
Ich habe Angst, wenn ich mich frage, was sein wird.
Doch Angst im Dunkeln habe ich nicht.

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